Interviews

Gemeinsam die Gründungskultur im Ruhrgebiet stärken


16. Dezember 2021

Wollen den Gründer-Hotspot Ruhrgebiet gemeinsam weiter stärken (v.l.): Martin Wibbe, Britta Dombrowe und Dominik Stute. (Fotos: Initiativkreis Ruhr)

Die Gründerallianz Ruhr hat mit der ersten Hands-on-Data-Konferenz (HOD) im November dafür gesorgt, Datenschätze im Ruhrgebiet zu heben. Die Veranstaltung hat gezeigt, wie wichtig ist es, beim Thema Startup-Förderung zusammenzuarbeiten. Neben Materna als Exklusivpartner zählten auch weitere Unternehmen und Institutionen wie die IHK zu Dortmund zu den Unterstützern. Genau das ist das Ziel des Initiativkreises Ruhr: Allianzen der Willigen zu schmieden, um die Gründerszene nachhaltig zu beleben. Wie das funktionieren kann, verdeutlichen die Verantwortlichen des Events in einem Interview.

Die Welten von Unternehmen und Startups beim Megathema Daten zusammenzubringen, war eines der obersten Ziele des hybriden Netzwerkevents Hands On Data (HOD). Die Konferenz, die von der Gründerallianz Ruhr veranstaltet wurde, kam an: Mehr als 1.100 Interessierte verfolgten die Premiere Anfang November. Das Initiativkreis-Unternehmen Materna war Exklusivpartner der HOD. Aber auch viele weitere Unternehmen und Kooperationspartner wie die IHK zu Dortmund unterstützten den Ansatz, die Datenschätze der Region in einem Leuchtturmevent zu heben. Wir haben mit Dr. Britta Dombrowe, Programme Lead Startup Activities beim Initiativkreis Ruhr, Martin Wibbe, Vorstandsvorsitzender und CEO der Materna-Gruppe, und Dominik Stute, Referatsleiter Innovation, Industrie und Internationale Netzwerke der IHK zu Dortmund, über die HOD, das Startup-Ökosystem im Ruhrgebiet und neue Wege der Digitalisierung gesprochen.

Martin Wibbe ist seit April 2020 Vorstandsvorsitzender und Chief Executive Officer (CEO) der Materna-Gruppe.

Herr Wibbe, der Erfolg des IT-Unternehmens begann 1980 mit einer visionären Idee der Gründer und Gesellschafter Dr. Winfried Materna und Helmut an de Meulen. Die Startup-Szene zu fördern, liegt damit quasi in der DNA Ihres Unternehmens. Welchen Beitrag leistet Materna, um das Ruhrgebiet als Startup-Hotspot zu profilieren?
Wibbe: Der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, Ulrich Sierau, hat einmal zu mir gesagt: „Herr Wibbe, Sie sind für mich der Vorstand des ältesten Startups im Ruhrgebiet.“ Dem stimme ich natürlich gerne zu (lacht). Materna ist nach wie vor gesellschaftergeführt und als Vorstand bin ich in der schönen und komfortablen Situation, viel Flexibilität zu haben, um gemeinsam mit unseren mehr als 2.600 Mitarbeiter:innen eigene, gute und innovative Unternehmensstrategien weiterzuentwickeln. Wenn ich auf das Ruhrgebiet schaue, sehe ich eine lebendige Startup-Szene, die in den vergangenen fünf bis zehn Jahren stark gewachsen ist. Wir haben hier viel gute Universitäten, die den Startup-Gedanken fördern, allen voran die TU Dortmund. Das macht es uns als Unternehmen leicht, ein relevanter Netzwerkpartner zu sein. Materna ist etabliert, technologiegetrieben und finanzstark. Gemeinsam Ideen – speziell mit dem Fokus auf IT-Dienstleistungen und Softwareentwicklung – weiterzuentwickeln, die für die Gesellschaft und die Region hilfreich sind, ist unser übergeordnetes Ziel. Startups sind für uns deshalb wichtige Kooperationspartner.

Frau Dombrowe, Sie leiten den Bereich Startup-Aktivitäten bei der Initiativkreis Ruhr GmbH. Aus der Sicht eines Wirtschaftsbündnisses: Wie ist das Ruhrgebiet im Vergleich zu anderen Regionen mit Blick auf Startups aufgestellt?
Dombrowe: Ich glaube, dass jede Region, die ein lebendiges Startup-Ökosystem hat, ein Alleinstellungsmerkmal besitzt. Bei den einen ist es der Zugang zu Venture Capital, bei den anderen der Fokus auf internationale Talente. Das Ruhrgebiet kann meiner Meinung nach mit einer einmaligen Industriedichte punkten. Die Steinkohleförderung war in der Region über Jahrzehnte zentral, hat für Wohlstand gesorgt und das Ruhrgebiet vorangebracht. Bis heute ist genau das für Startups attraktiv – denn es bedeutet, dass es hier Arbeit gibt. Der Initiativkreis Ruhr steht für etablierte Wirtschaft zentral in Europa und baut Brücken zu neuen Talenten – etwa mit Veranstaltungen und engagierter Netzwerkarbeit. Das tun wir, weil wir wollen, dass unsere industrielle Zukunft genauso stark werden kann wie unsere industrielle Vergangenheit es war. Etablierte Wirtschaft mit Startups zu verquicken bedeutet für uns deshalb, resilientes und nachhaltiges Wirtschaften.

Etablierte Wirtschaft mit Startups zu verquicken bedeutet für uns resilientes und nachhaltiges Wirtschaften. Dr. Britta Dombrowe
Dominik Stute verantwortet bei der IHK zu Dortmund das Referat Innovation, Industrie und Internationale Netzwerke.

Herr Stute, Sie kümmern sich bei der IHK zu Dortmund um die Internationalisierung von Startups. Wie genau kann man sich das vorstellen und warum ist dieser Schritt für unsere Region so wichtig?
Stute: Wir wollen die Startups aus der Region – übrigens genauso wie alle anderen Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten – bei der Internationalisierung unterstützen. Wenn es um junge, hochinnovative und zumeist digitale Unternehmen geht, haben diese in der Regel jedoch schneller einen internationalen Fokus. Hinzukommt, dass man in der digitalen Startup-Welt direkt internationale Chancen, aber auch internationale Konkurrenz hat. Hier setzen wir als IHK zu Dortmund einen besonderen Fokus – weil Startups für die Region extrem wichtig sind. Wir beraten, qualifizieren und führen Gründer:innen mit unserem Netzwerk – hier sind vor allem die 140 Büros der Auslandshandelskammern (AHKn) in 92 Ländern weltweit zu nennen – an das Thema heran. Seit 2015 reisen wir mit Startups und Kooperationspartnern wie dem Initiativkreis Ruhr ins Ausland nach zum Beispiel New York, Tel Aviv, Singapur, Helsinki oder Lissabon. Dort schaffen wir Netzwerke für die Startups und helfen ihnen beim Kennenlernen von neuen Kunden und Investoren. Für die Region ist das wichtig, weil Startups diese Erfahrungen und internationalen Kontakte wieder mit nach Hause nehmen und im besten Fall selber wachsen können.

Wie wichtig ist es, gemeinsame Sache zu machen, um beim Thema Digitalisierung, Innovation und Startups dauerhaft in der Pole Position zu sein?
Dombrowe: Mit der Gründerallianz Ruhr (GAR) wollen wir genau das: Allianzen schmieden, die das Ruhrgebiet voranbringen. Seit 2017 schaffen wir eine Klammer, um größere Transparenz herzustellen und Synergien zu schaffen. Als wir 2016 angefangen haben, in dem Ökosystem zu arbeiten, dachten wir erst, wir müssten alle mitnehmen. Aber da beißt man sich auf Dauer die Zähne aus. Deshalb haben wir angefangen, nur Allianzen mit Willigen zu schmieden. Und genau das ist ein sehr guter Weg für das Ruhrgebiet, weil es genug Akteure gibt, die bei dem Thema an einem Strang ziehen wollen.

Allianzen der Willigen schmieden, um die Startup-Szene zu fördern

Céline Flores Willers, eine von Deutschlands LinkedIn Top-Voices, hat Martin Wibbe bei der HOD zum Thema Startup-Förderung interviewt. (Foto: Gründerallianz Ruhr)

Wibbe: Ich sehe das genauso. Die Region im Bereich der Digitalisierung und IT-Technologie voranzubringen, funktioniert nicht als singulärer Player. Das Ruhrgebiet hat hier die große Chance, mit der Bündelung an starken Firmen gewisse Startups anzuziehen. Als Vorstand von Materna kann ich sagen: Ich sehe darin einen großen Mehrwert und hoffe, dass sich noch mehr Unternehmen dieser Logik anschließen. Denn wir können von Startups viel lernen. Sich also mit dem Ökosystem zu beschäftigen und zu fragen, was kann ich mitbringen – etwa Geld, Ideen oder die passende Infrastruktur – kann nur wertvoll sein.

Stute: Auch das Ruhrgebiet steht ja in einem globalen Wettbewerb um Ideen, Talente und neue Geschäftsmodelle. Deshalb muss man sich auch gegen andere Standorte behaupten können. Und das schafft man in unserer Metropole vor allem durch die Bündelung der Kräfte von starken Firmen, Hochschulen und Institutionen. Realistisch betrachtet hört ein Startup, das aus Dortmund kommt, ja nicht an der Stadtgrenze auf, nach Kooperationspartnern zu suchen. Dieser Realität muss man sich stellen und gemeinsame Lösungen finden.

Ein besonderes Augenmerk der HOD lag auf den Data Challenges, mit denen Firmen reale und datenbasierte Herausforderungen vorstellen. (Foto: Gründerallianz Ruhr)

Bei der HOD ist Ihnen das Thema Zusammenarbeit eindrucksvoll gelungen. Frau Dombrowe, warum war das Event gerade in Corona-Zeiten so wichtig?
Dombrowe: Zunächst einmal: Wir hätten das Format natürlich lieber analog durchgeführt. Weil der Austausch vor Ort immer effizienter ist. Aber die pandemische Lage hat am Ende „nur“ ein digitales Event zugelassen – aber das kam sehr gut an. Mit der HOD wollten wir das Thema B2B-Data für das Ruhrgebiet pushen. Unserer Meinung nach liegt in dem Gedanken, dass Industrien mit Startups zusammenarbeiten, die größte Kompetenz. Dem Thema Daten widmen wir uns bereits seit einigen Jahren im Data Hub Ruhr. Hier klassifizieren wir Anwendungsfälle, die für Unternehmen in der Region, allen voran im Initiativkreis Ruhr, relevant sind. Die Firmen geben ihre eigenen Industriedaten in den Wettbewerb und promoten sie international in einer Data-Community. Auf diese Fälle bewerben sich dann Daten-Startups aus aller Welt, um konkret mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten. Auf der HOD haben wir diesen Ansatz in einer modernen Leuchtturmveranstaltung umgesetzt – und ziehen als Veranstalte eine positive Bilanz. Mehr als 1.100 Teilnehmende haben das Event verfolgt, die Inhalte sind nach wie vor digital abrufbar. Wir haben sofort starke Partner wie Materna gefunden und hatten eine unglaubliche, mediale Reichweite. Das Motto „once coal, now data“ hat offenbar einen Nerv getroffen. Deshalb wollen wir es künftig auch weiter pushen und neue Talente suchen, die sich für das Thema in der Region starkmachen.

Herr Wibbe, Materna war Exklusiv-Partner. Ein Claim war: „Statt Kohle gibt es heute einen neuen Rohstoff in der Region: DATEN!“ Warum liegt gerade da ein Potenzial im Ruhrgebiet?
Wibbe: Ich glaube, dass das Thema Netzwerk, Plattform und Ökosystem eine ganz wichtige Sache ist. Wir haben uns bei Materna langfristig das Ziel gesetzt, den Umsatz zu verdoppeln, uns stark zu innovieren und wir brauchen den Marktzugang zu neuen Themen. Da spielt das Thema Daten-Ökonomie eine große Rolle. Wir kümmern uns hochprofessionell darum, wie man Daten sicherhält. Insofern war die HOD eine spannende Veranstaltung, aus der wir viele Impulse mitnehmen konnten. Wir haben gesehen, was andere Unternehmen in der Region machen und haben Einblicke bekommen, wie sie Daten verstehen. Das, gepaart mit dem Thema Datensicherheit, war ein spannender Mix. Mit der Perspektive der Startups hat die HOD einen schönen 360-Grad-Blick mit einem regionalen Fokus geboten. Das haben wir als mittelständisches Unternehmen als sehr attraktiv wahrgenommen.

Über die HOD

Das innovative Netzwerkevent für Data-Startups, Unternehmen und Interessierte fand am 2. November statt. Auf der Agenda standen spannende Vorträge, Reverse Pitches und anspruchsvolle Data Challenges.

Mehr als 1.100 Teilnehmende erfuhren auf der kostenfreien Konferenz, wie verschiedene Branchen das Thema Daten angehen. Zu den Partnern der HOD zählten unter anderem: RAG-Stiftung, RAG, Evonik, Vonovia, startport, Vivawest, DW NRW und Die Techniker. Materna war Exklusiv-Partner der HOD.

Die Inhalte der hybriden Konferenz sind online abrufbar unter www.gruenderallianz.ruhr/de/hands-on-data-event.

 

Daten-Ökonomie als Megathema im Ruhrgebiet

Herr Stute, die IHK zu Dortmund verfolgt im Rahmen der Start.up! Germany Tour noch einen weiteren Ansatz: Namhafte Unternehmen aus der Region stellen etwa bei einem Reverse Pitch ihre Konzepte und Problemstellungen vor und werben um Zusammenarbeit mit internationalen Startups. Wie wird das angenommen?
Stute: Zunächst einmal: Der Rückblick auf die HOD fällt auch bei uns eindeutig positiv aus, der Initiativkreis Ruhr hat mit engagierten Partnern ein Top-Event auf die Beine gestellt. Wir waren froh, dass wir als IHK mit unserer Start.up! Germany Tour dabei sein konnten: Wir haben für die HOD unser internationales Startup-Netzwerk genutzt, um die Konferenz in 50 verschiedenen Ländern zu bewerben. Gleichzeitig haben wir Gründer:innen aus unserem Netzwerk zehn exklusive, digitale Messeplätze anbieten können. Diese Zusammenarbeit war der zweite Schritt nach dem Reverse Pitch, den wir bereits seit fünf Jahren gemeinsam mit dem Initiativkreis umsetzen. Hier pitchen namhafte Unternehmen aus der Region vor unseren internationalen Tour-Teilnehmern und zeigen, was sie können und suchen. Auch Materna war in diesem Jahr bereits das zweite Mal dabei. Dieses Event ist für unsere internationalen Startups unglaublich spannend, weil sie mit Unternehmen in einen direkten und gewinnbringenden Austausch kommen.

Welchen Mehrwert bietet dieser Ansatz der Region damit also?
Stute: Idealerweise lassen sie sich mit Projekten wie der HOD oder der Start.up! Germany Tour Arbeitsplätze schaffen. Erstens stärken die innovativen Ideen der internationalen Startups im besten Fall unsere regionalen Unternehmen. Zweiten sehen die jungen Talente, welche wirtschaftliche Power im Ruhrgebiet steckt. Das schafft hoffentlich einen Aha-Effekt. Im nächsten Schritt erkennen sie dann, dass die Infrastruktur in der Region gut ist, es günstigen Wohnraum und facettenreiche Freizeitmöglichkeiten gibt – und bleiben hier.

Idealerweise lassen sich mit Projekte wie der HOD Arbeitsplätze in der Region schaffen. Dominik Stute
Einblicke in zukunftsreiche Berufsbranchen erhalten, gewinnbringend netzwerken und sich mit jungen Fach- und Führungskräften auf Augenhöhe austauschen – davon haben 21 Berufseinsteigerinnen und -einsteiger beim ersten Mentorenprogramm des Jungen Initiativkreises Ruhr profitiert. Der Abschluss von Runde eins fand bei Vonovia statt.

Wibbe: Ich schließe mich dem gerne an: Das Klischee vom grauen Ruhrgebiet ist überholt. Allein der PhönixSee in Dortmund-West steht für moderne Industriekultur. Dort macht Leben Spaß. Die Vorbehalte gegenüber dem Ruhrgebiet sind für mich deshalb überholt. Strukturwandel bedeutet, dass etwas geht und etwas Neues kommt – und dazwischen eine Lücke entsteht oder Unbehagen da ist. Dieser Wandel ist in der Region noch in vollem Gange. Genau deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, die Gründungskultur im Ruhrgebiet zu stärken.

Dombrowe: Und die Best-Practice-Beispiele sind ja da: Etwa Startups, die sich auf der Startup-Germany-Tour vorstellen und dann beim startport in Duisburg in ein Accelerator-Programm aufgenommen werden. Das Ruhrgebiet bietet vielen jungen Menschen bezahlbaren Raum zum Leben und Arbeiten – das ist ein großer Unterschied zu großen Startup-Hotspots in Deutschland und weltweit.

Herr Wibbe, Michael Müller ist Mitglied im Jungen Initiativkreis Ruhr und wirbt für den Standort Ruhrgebiet und Ihr Unternehmen im speziellen. Warum ist Materna vor allem für junge Leute ein attraktiver Arbeitgeber?
Wibbe: Das hängt viel mit unserer Kultur zusammen. Materna ist sehr menschenorientiert. Der Hashtag #teammaterna ist nicht nur eine Floskel bei Social Media, wir leben diesen Gedanken. Wir sind ein Familienunternehmen, das langfristig und nachhaltig denkt und agiert. Wir bieten Sicherheit im Job, attraktive Aufgaben und Weiterbildungsmöglichkeiten, gute Bezahlung und ein Zufriedenheitsgefühl. Wir stellen viele Trainees ein, die wir gut ausbilden und die dann auch im Unternehmen bleiben wollen. Zu uns kommen in der Regel technisch interessierte, qualifizierte und teamorientierte Talente – und sie sagen uns immer wieder, dass sie sehr zufrieden bei uns sind. Das freut uns und das wollen wir bewahren.

Der Hashtag #teammaterna ist nicht nur eine Floskel bei Social Media, wir leben diesen Gedanken. Martin Wibbe
Die Interviewten sind sich einig: Digitalisierungsthemen voranzutreiben, liegt meist in der DNA von Startups.

Wagen wir zum Abschluss einen Blick in die Zukunft: Was muss sich ändern, damit Deutschland im Allgemeinen und das Ruhrgebiet im Speziellen beim Thema Innovationen und Digitalisierung nicht weiter abgehängt wird?
Stute: Ein Anfang wäre, sich nicht auf der Wirtschaftskraft der Gegenwart auszuruhen und mehr nach vorne zu blicken. Gerade unser Mittelstand, der ja vor allem im Ruhrgebiet traditionell sehr stark ist, könnte noch risikobereiter werden. Die Geschäftsmodelle von heute sind nicht immer die von morgen. Startups können hier gute Impulse geben – und ein zukunftsfähiger Geschäftspartner sein.

Wibbe: Das Thema Digitalisierung ist in Deutschland aufgrund unseres politischen Systems generell eine Herausforderung, weil unser föderales System es erfordert, dass ganz neue Konzepte entwickelt werden. Fortschritt zu generieren, ist da leider nicht immer so einfach und schnell möglich. Ich glaube, dass wir aufpassen müssen, den Mittelstand nicht damit zu überlasten, sich mit dem System zu beschäftigen. Das hemmt und verlangsamt uns. Es gelingt dann eben nur ganz findigen Menschen, Prozesse zu beschleunigen. Hier kommen Gründer:innen ins Spiel: Denn Digitalisierungsthemen voranzutreiben, liegt meist in der DNA von Startups: Sie gehen öfter ins Risiko, probieren Neues aus, lassen sich von Fehlern nicht vom Weg abbringen. Diese Mentalität müssen wir viel mehr in unser öffentliches System und in das eine oder andere Unternehmen transferieren. Wir brauchen pragmatische Lösungen. Ich zum Beispiel würde meine persönlichen Daten gerne in eine einheitliche ID geben, wenn dafür mein Leben einfacher werden könnte. Dann würde ich auch das Risiko eingehen, dass diese Daten zentral angelegt sind.

Gründerallianz Ruhr will seit 2017 Brücken bauen

Dombrowe: Ich glaube, wir haben uns mit der Gründerallianz in die richtige Richtung aufgemacht: Meiner Meinung nach können wir nur eine nachhaltige, widerstandsfähige und erfolgreiche Wirtschaft kreieren, wenn wir eine Brücke bauen zwischen der etablierten Wirtschaft und den „jungen, wilden“ Startups. Wir brauchen Erfahrung und Augenmaß auf der einen Seite – und Mut, Erfindungsgeist und Kenntnis aller technischen Möglichkeiten auf der anderen Seite. Nur wenn es uns gelingt, das Beste aus beiden Welten zu verbinden, können wir dieses Wort „Digitalisierung“ mit echtem Leben füllen. Wir brauchen eine Form der Digitalisierung, die tatsächlich dem Menschen nützt, sein Leben und Arbeiten besser macht und unsere Wirtschaft stärkt.

Das Interview führte Jasmin Buck.

Über die Interviewten

Dr. Britta Dombrowe verantwortet seit 2016 die Startup-Aktivitäten der Initiativkreis Ruhr GmbH.

Martin Wibbe ist seit April 2020 Vorstandsvorsitzender und Chief Executive Officer der Materna-Gruppe. Er verfügt über umfassende Erfahrungen in Vertrieb und Vermarktung von IT-Dienstleistungen. Wibbe ist diplomierter Kaufmann (Fachrichtung Wirtschaftsinformatik) der University of Applied Science in Berlin und hat einen Executive MBA-Abschluss der Universität St. Gallen, Schweiz, und der TU München.

Dominik Stute verantwortet bei der IHK zu Dortmund das Referat Innovation, Industrie und Internationale Netzwerke. In dieser Funktion ist er unter anderem für das Thema Startups verantwortlich. Hier liegt der Schwerpunkt der IHK vor allem auf den Themen Internationalisierung sowie Verknüpfung von Startups und Mittelstand.

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