Interviews

Hochfeld als Uniseminar: Eine Professorin und ihre Geografiestudent:innen forschen in dem Duisburger Stadtteil


22. Juni 2022

Uta Hohn bildet mit ihren Student:innen Arbeitsgruppen in den Forschungsfeldern „Grüne Transformation“, „Soziokulturelle Vielfalt und Teilhabe“, „Öffentliche Räume“ und „Governance“. (Foto: Anna Spindelndreier / IR)

Prof. Dr. Uta Hohn lehrt an der Ruhr-Universität Bochum Internationale Stadt- und Metropolentwicklung und nimmt mit ihren Student:innen den Duisburger Stadtteil Hochfeld unter die Lupe. Dazu bietet sie im Sommersemester 2022 das Seminar "Urbane Zukunft Ruhr: Duisburg-Hochfeld als Reallabor" an. Wir haben mit der Metropolenforscherin über den Strukturwandel in der Region, gesellschaftliche Herausforderungen und über das neue Leitprojekt des Initiativkreises Ruhr, Urbane Zukunft Ruhr, gesprochen. Das Interview fand im Rahmen eines Workshops des Jungen Initiativkreises statt, bei dem die jungen Fach- und Führungskräfte mehr über den Duisburger Stadtteil erfahren konnten.

Prof. Dr. Hohn, ihr Seminar heißt "Urbane Zukunft Ruhr: Duisburg-Hochfeld als Reallabor." Was ist mit Reallabor genau gemeint?

Reallabore haben zunächst einmal nichts mit Mäusen zu tun, und schon gar nicht werden hier Menschen in ihrer realen Lebenswelt zu “Versuchskaninchen”. Damit gemeint sind relativ neue und innovative Formate einer forschenden Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. Diese verbindet das Ziel, in konkreten Räumen transdisziplinär und experimentell an nachhaltigen Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu arbeiten. Man könnte statt von Reallabor auch von einer Praxis und Wissenschaft verbindenden Zukunftswerkstatt sprechen.

 

Wie genau werden die Bachelor-Studierenden hier eingebunden, was sind ihre Forschungsfelder?

Wir haben vier Arbeitsgruppen gebildet: „Grüne Transformation“, „Soziokulturelle Vielfalt und Teilhabe“, „Öffentliche Räume“ und „Governance“. Die zweite Gruppe zum Beispiel schaut: Wie sieht es in Hochfeld als jungem und multiethnisch geprägtem Stadtteil mit Bildungs- und Chancengerechtigkeit aus? Wie sind Kinder und Jugendliche, wie die Menschen mit Migrationshintergrund, in die Zukunftsgestaltung im Stadtteil eingebunden? Soziokulturelle Teilhabe ist hier das Stichwort. Die Studierenden haben den Auftrag und das Ziel, Trails einer nachhaltigen Transformation durch den Stadtteil zu entwickeln, Transformationsräume mit Potential herauszuarbeiten und Akteursnetzwerke transparent zu machen – also viel zu tun!

Hochfeld birgt neben zahlreichen sozialen Herausforderungen auch ein starkes Entwicklungspotential, das genutzt werden will. (Foto: Anna Spindelndreier / IR)

Als Geographin haben Sie fachlich einen anderen Blick auf Städte und Stadtteile als andere Akteur:innen. Warum ist Hochfeld für Sie so interessant?

Hochfeld steht exemplarisch für die komplexen Prozesse des Strukturwandels in ehemals durch die Nähe zur Industrie geprägten Stadtteilen der Region Ruhr. Im Zuge der Deindustrialisierung ist Hochfeld in eine sozioökonomische Abwärtsspirale geraten und in der Folge mit den Herausforderungen von internationaler Zuwanderung konfrontiert worden. Diese Ankunftsräume sind heute kinderreich, multiethnisch und armutsgeprägt, zugleich vielfältig und lebendig. Hier stellt sich die soziale Frage unserer Zeit im Sinne von Chancengerechtigkeit. Das heißt: Bei der Zukunftsgestaltung dieser Stadtteile geht es um die Frage, ob die sozial-ökologische Transformation in der Region Ruhr gelingt oder nicht.

Als Geographin interessieren mich dabei vor allem das „Raummachen“ durch unterschiedliche Akteur:innen und die Raumwirksamkeiten dieses Handelns. Wie werden Räume in Auseinandersetzung mit dem baulich-materiellen Bestand und ihren Funktionsbestimmungen neu gestaltet? Welche Aneignungsprozesse finden durch die Nutzer:innen statt, welche symbolische Bedeutung wird Räumen von wem zugeschrieben und: Welche neuen Raumbezüge bilden sich mit den angrenzenden Stadträumen und deren Projekten des Stadtumbaus heraus?

Hochfeld ist ein multiethnischer Stadtteil mit vielen Facetten, mit tollen Altbauten, einer alteingesessenen Gemeinschaft, aber auch mit sozialen Spannungen. Die Müllproblematik und die Ausbeutung von Tagelöhner:innen machen immer wieder Schlagzeilen. Andererseits gibt es großartige Infrastruktur-Projekte wie den Rheinpark, die von der EU gefördert wurden. Wieso existieren gerade in Hochfeld diese extremen Diskrepanzen?

Diese Diskrepanzen sind Folge und Ausdruck des gerade geschilderten Entwicklungspfads eines mit Brüchen einhergehenden Strukturwandels. Die vielfach stark sanierungsbedürftigen Altbauten sind das Erbe einer ökonomischen Blütezeit des Stadtteils Ende des 19. und Anfang des 20.

Jahrhunderts. Engagierte Einzeleigentümer:innen zum Beispiel in der Eigen- und Gerokstraße oder im Immendal, aber auch öffentliche Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften haben Zeichen positiver Erneuerung gesetzt. Zugleich gibt es Immobilienspekulation und ausbeuterische Vermietungen in Problemimmobilien, die den Anforderungen an menschenwürdiges Wohnen nicht entsprechen. Infrastrukturprojekte, die mit Mitteln der Städtebauförderung oder EU-Mitteln finanziert worden sind, führen als solche noch nicht zu einem pfleglichen Umgang mit den öffentlichen Räumen. Zur Lösung der Müllproblematik braucht es sicher ein Gesamtkonzept mit einer Kombination unterschiedlicher Ansätze und direkter Ansprache, Sensibilisierung und Einbindung der Menschen vor Ort.

Unverzichtbar für die Zukunftsgestaltung in einem Stadtteil mit einer jungen, kinderreichen Bevölkerung sind im Hinblick auf das Ziel der Chancengerechtigkeit die schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen.

Urbane Zukunft Ruhr soll als Plattform fungieren, an der sich die Mitgliedsunternehmen des IR und weitere Akteur:innen mit eigenen Projekten, ihrer individuellen Expertise oder auch durch finanzielle Unterstützung beteiligen können. Welche sind die entscheidenden Akteure, die zusammenkommen müssen, um nachhaltige Veränderungen in Hochfeld zu bewirken?

Was ich zunächst sehr gut finde: Durch das Projekt Urbane Zukunft Ruhr richtet man den Scheinwerfer im positiven Sinne auf den Stadtteil. Die Schlüsselakteur:innen sind auf Seiten der in sich sehr differenzierten Zivilgesellschaft zum einen die schon seit den 1990er Jahren für den Stadtteil engagierte Gruppen, wie der aus einer Initiative von Hauseigentümern entstandene „Klüngelklub“ oder die Zukunftsinitiative Hochfeld. Zum anderen aber auch neu gegründete Initiativen, die sich vor allem um die Teilhabe der migrantischen Bevölkerung an der Stadtteilentwicklung kümmern, wie der Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen. Für die themenübergreifende Vernetzung der Akteure auf Stadtteilebene und als Interessenvertretung Hochfelds ist das Forum „Leben in Hochfeld“ zentral.

Unverzichtbar für die Zukunftsgestaltung in einem Stadtteil mit einer jungen, kinderreichen Bevölkerung sind im Hinblick auf das Ziel der Chancengerechtigkeit die schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen. Einzubeziehen sind zudem die Akteure der Wohnungswirtschaft und der lokalen, insbesondere auch ethnischen Ökonomie. Hinzu kommen neben Politik und Verwaltung auf Stadtteil- und vor allem auf gesamtstädtischer Ebene noch Stiftungen, Wohlfahrtsverbände und gemeinwohlorientierte Initiativen. Wünschenswert wäre auch eine Einbindung der Wissenschaft von Anfang an.

Was erhoffen Sie sich von dem Initiativkreis Ruhr-Projekt Urbane Zukunft Ruhr konkret?

Ich erhoffe mir den Zukunftsmut auf der Entscheidungsebene, neue Formate und Konzepte auszuprobieren. Dazu bedarf es finanzieller Ressourcen, angefangen von einem „Haus der urbanen Zukunft Hochfeld“ mit einer Zukunftswerkstatt für gemeinsame Initiativen in Verbindung von Lernen, Forschen, Ausprobieren und Wissenstransfer bis hin zu Personal für eine professionelle Moderation des Prozesses. Idealerweise engagieren sich dann die Mitglieder des Initiativkreises Ruhr für und in konkreten Projekten der nachhaltigen Transformation. Hierbei ließe sich ein Mehrwert für alle Seiten schaffen. Das Initiativkreis-Projekt bietet die Chance, veraltete Strukturen, Denk- und Entscheidungsmuster aufzubrechen, Neues zu denken und zu wagen, aus gewohnten Systemblasen auszubrechen und einen Möglichkeitsraum zu schaffen, wo das gemeinsame Experimentieren und Lernen im Rahmen der Umsetzung von Projekten im Mittelpunkt steht. In dieser Hinsicht könnte „Urbane Zukunft Ruhr“ auf allen Ebenen motivierend wirken, zumal Aufmerksamkeit garantiert und damit ein positiver Erfolgsdruck aufgebaut ist.

Über Urbane Zukunft Ruhr

Der Duisburger Stadtteil Hochfeld wird Blaupause für die Region. Mit dem Ziel, die Lebensverhältnisse der Menschen vor Ort zu verbessern, möchte der Initiativkreis Ruhr gemeinsam mit der Stadt Duisburg die Herausforderungen des Quartiers angehen und in den Aktionsfeldern „Bildung & Soziales“, „Wohnen & Öffentlicher Raum“ sowie „Neue Mobilität“ aktiv werden. Durch verschiedene Teilprojekte in den drei Aktionsfeldern werden alle drängenden Themen urbanen Lebens gleichzeitig und vernetzt behandelt. Bei allen Aktivitäten sind die Themen Klimaschutz und Digitalisierung ein wichtiger Bestandteil. 

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