„Die Lehren aus Corona“
Initiativkreis im Interview
Interviews
„Der Zusammenhalt im Ruhrgebiet hilft in der Krise sehr“
12. April 2021




Das Corona-Virus drückt der Welt seinen Stempel auf. Wie trifft die Pandemie die Menschen, die Unternehmen, das Ruhrgebiet als Region? Welche Schlüsse lassen sich daraus für die Zukunft ziehen? In unserer Interview-Reihe „Die Lehren aus Corona“ fragen wir bei Persönlichkeiten aus unserem Netzwerk nach. Diesmal: Wolfgang Langhoff, Vorsitzender des Vorstands BP Europa SE.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihr Unternehmen betroffen?
Die Pandemiesituation in Deutschland stellt uns alle seit über zwölf Monaten vor immer wieder neue Herausforderungen. Das Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens hat auch bei uns zu einer niedrigeren Nachfrage geführt. Das mussten wir in verschiedenen Geschäftsbereichen erleben. Wir haben aber auch gesehen, dass gleichzeitig in der Corona-Krise unter anderem unsere Aral-Tankstellen als Teil der sogenannten kritischen Infrastruktur gefordert sind, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Damit stellen unser Unternehmen und die Branche insgesamt nicht nur ihre Relevanz, sondern auch ihre Nähe zum Kunden unter Beweis. Obwohl sich die Nachfrage permanent abhängig von neuen Regelungen dynamisch änderte und Handelsketten mitunter unterbrochen werden, ist die Versorgung von Verbrauchern und Unternehmen mit Kraftstoffen und Mineralölprodukten jederzeit gesichert. Auch unsere Raffinerie in Gelsenkirchen hat ohne Unterbrechung rund um die Uhr weiter produziert.
Was hat sich für Sie persönlich geändert? Und: Hand aufs Herz – auf welche liebgewonnene Gewohnheit mussten Sie durch die Corona-Einschränkungen verzichten?
Gerade im mehr privaten Bereich sind die Einschnitte doch noch schmerzhafter zu spüren: Für mich hieß es, meinen 92-jährigen Vater nur auf Abstand zu sehen und die Familienfeiern – sonst in großer Runde – auf ein Minimum zu beschränken. Dazu gehören eben auch Familienreisen, bei denen man sich treffen kann und neue Landschaften und Gegenden entdeckt – all das bedeutet auch im Rückblick schon Verzicht, der schwerfällt und den wir alle hoffentlich bald überwinden.
Ein weiterer Pluspunkt dieser Region ist die Tatsache, dass zwischen Dortmund und Duisburg Wissenschaft und Wirtschaft eng miteinander verzahnt sind.
Was sind die besonderen Herausforderungen, die sich dem Ruhrgebiet durch Corona stellen – wo zeigen sich Schwächen und wo vielleicht Stärken?
Das Ruhrgebiet zeichnet sich für mich seit jeher durch eine starke eigene Identität und einen damit verbundenen Zusammenhalt der Menschen untereinander aus. So etwas hilft in Krisenzeiten sehr. Ein weiterer Pluspunkt dieser Region ist die Tatsache, dass zwischen Dortmund und Duisburg Wissenschaft und Wirtschaft eng miteinander verzahnt sind. So können im Ruhrgebiet einzigartige Synergien für einen innovativen Strukturwandel und Perspektiven entstehen, die Mut machen. Ein dichtes Wissenschaftsnetz mit 22 Hochschulen mit vielen klugen Köpfen trifft auf eine traditionsreiche Industrie, die sich stetig weiterentwickelt und schnell reagiert, wenn Not am Mann ist.
Ein konkretes Beispiel: Ich erinnere an die Zeit, als zu Beginn der Pandemie Desinfektionsmittel knapp waren. Da sprangen wir und andere – gerade auch aus der Chemieregion des nördlichen Ruhrgebiets – schnell ein und produzierten die benötigten Mengen, um zu helfen. Ein weiterer Vorteil ist die geographische Lage mitten in Europa; das ist wichtig für die Logistik und buchstäblich zentral für uns als Unternehmen, weil viele Produkte über die Schiene, Straßen und die Binnenschifffahrt transportiert werden. Auf der anderen Seite ist der angesprochene Strukturwandel noch lange nicht abgeschlossen und zum Teil sehr fragil. Ideologisch motivierte disruptive Eingriffe in die unternehmerische Freiheit und starke regulatorische Hürden für Investitionen wirken wie ein Hemmschuh für gute wirtschaftliche Entwicklungen. Gerade die aktuelle Situation zeigt, dass dies zwingend zu vermeiden ist.
Wie wird Corona Wirtschaft und Gesellschaft auf Zeit verändern?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Auch, wenn die Zahl der Geimpften schrittweise wächst, wird sicherlich nicht alles innerhalb kurzer Zeit wieder so sein wie bisher. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass es beim Konsum durchaus einen gewissen Nachholeffekt gibt. Wir selbst haben uns als Unternehmen vor gut einem Jahr unabhängig von der Pandemie das Ziel gesetzt, bis spätestens 2050 ein klimaneutrales Unternehmen zu sein und der Welt dabei zu helfen, es ebenfalls zu werden. Wir werden uns in den nächsten zehn Jahren von einem internationalen Ölunternehmen zu einem integrierten Energieunternehmen entwickeln. Damit setzen wir uns an „die Spitze der Bewegung“ aller Mineralölunternehmen. Schon allein in den kommenden zehn Jahren verzehnfachen wir Investitionen in emissionsarme Aktivitäten. Zusammen mit anderen Unternehmen wollen wir beispielsweise unter dem Namen GETH2 eine grenzüberschreitende Infrastruktur für Wasserstoff aufbauen – angefangen bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff über den Transport bis hin zur industriellen Nutzung. Von Lingen im Emsland bis nach Gelsenkirchen und von der niederländischen Grenze bis nach Salzgitter sollen Erzeugung, Transport, Speicherung und industrielle Abnahme von grünem Wasserstoff in mehreren Schritten zwischen 2024 und 2030 unter dem Dach des Gesamtprojektes verbunden werden. Sie sehen, Corona ist nicht der Grund für unseren Wandel, aber die Pandemie beschleunigt unser Vorhaben.
Wir unterstützen ausdrücklich eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft zur Bekämpfung der Corona-Pandemie durch Schnell- und Selbsttests für Mitarbeitende als Teil der Strategie von Bund und Ländern.
In welcher Form haben Unternehmen eine besondere Verantwortung für ihre Belegschaft und die Gesellschaft in Krisenzeiten wie diesen?
Höchste Priorität haben für uns immer die Sicherheit und Gesundheit unserer Mitarbeitenden sowie Kundinnen und Kunden. Vor diesem Hintergrund arbeiten seit Anfang 2020 alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Tätigkeit dies zulässt, bis auf weiteres von Zuhause. Unsere Beschäftigten, die an produktionstechnischen Abläufen entweder beteiligt sind oder diese unterstützen, arbeiten weiterhin an ihrem normalen Arbeitsplatz. Überall gelten Abstandsregeln, Mehrschicht-Systeme und strengere Eingangskontrollen. In unserer Raffinerie in Gelsenkirchen haben wir beispielsweise eigens ein Corona-Testzentrum aufgebaut. Nur mit dem Nachweis eines negativen Corona-Tests darf beispielsweise dort das Werkgelände betreten werden. Wir sorgen mit Nachdruck für alle Maßnahmen, um die Verbreitung von COVID-19 zu begrenzen und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Versorgung mit Energie, Treibstoff und lebenswichtigen petrochemischen Rohstoffen ununterbrochen gewährleistet ist. In dem Zusammenhang möchte ich betonen, dass wir ausdrücklich eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft zur Bekämpfung der Corona-Pandemie durch Schnell- und Selbsttests für Mitarbeitende als Teil der Strategie von Bund und Ländern unterstützen.
Inwieweit ist Corona ein Test für die Solidarität unter den Menschen, und welche Entwicklung sehen Sie mit besonderer Sorge?
In diesen schwierigen Zeiten müssen wir zusammenstehen und an unsere Mitmenschen denken. Als Unternehmen tragen wir unseren Teil dazu bei, die Corona-Krise zu überwinden und Auswirkungen für alle Mitarbeitenden, Geschäftspartner, Kundinnen und Kunden zu minimieren. Ich bin beeindruckt, welchen Teamgeist wir auch in diesen Zeiten in unseren Reihen zeigen. Aktuell geht es um solidarischen Zusammenhalt in der ganzen Gesellschaft.
Technologie und Innovation sind die Antwort auf die Herausforderungen im Energiesektor
Lassen sich aus der Krise auch Chancen ableiten und wenn ja, welche?
Als zu Beginn der Corona-Pandemie unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben vorübergehend zum Stillstand kam, wurde deutlich: Die Mobilität von Menschen und Waren ist für unser modernes Leben essenziell. Oder anders gesagt: Mobilität und Energie sind systemrelevant. Auch, wenn Corona die Nachrichten bestimmt, bleiben aus Sicht vieler die Herausforderungen rund um den Klimaschutz weiterhin wichtig. Die Antwort auf die Herausforderungen im Energiesektor für die nächsten Jahre darf aus meiner Sicht aber nicht Verzicht sein, wie der eine oder andere fordert, sondern muss Technologie und Innovation lauten. Beide Punkte bieten große Chancen, um den Übergang in eine CO2-ärmere Welt zu schaffen. Wir sind bereit und wollen auf Basis unserer neuen Strategie daran mitarbeiten.
Das ist Wolfgang Langhoff
Wolfgang Langhoff (61) ist seit dem Jahr 2013 Mitglied des Vorstands und seit Januar 2017 Vorsitzender des Vorstands der BP Europa SE. In dieser Funktion ist er ebenso für die Bereiche Portfoliostrategie und europäische Transformationsaktivitäten zuständig. Nach seinem Eintritt in den Vorstand verantwortete Wolfgang Langhoff mehrere Jahre das Ressort Finanzen.
Wolfgang Langhoff ist in verschiedenen Verbänden und Organisationen tätig. Neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender des Mineralölwirtschaftsverbands ist er Vorsitzender des Beirats des Mineralölbevorratungsverbands (seit dem Jahr 2011).
Er startete seine Laufbahn bei bp im Jahr 1989 und war seit dieser Zeit in verschiedenen internationalen Führungspositionen für das Unternehmen tätig, unter anderem in Brüssel, London, Madrid und Krakau. Vor seinem Eintritt in den Vorstand war Langhoff in Bochum Leiter des Bereichs Versorgung und Logistik für das Portfolio der gesamten westeuropäischen Kraftstoff-Wertschöpfungskette der bp, die sich über sechs Länder erstreckte.
Wolfgang Langhoff wurde im Jahr 1960 in Oberhausen geboren und hat ein Studium an der RWTH Aachen als Diplomingenieur abgeschlossen.
Diesen Beitrag