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Rat für Bildung des Bistums diskutiert Lehren aus Corona


02. Oktober 2020

Dr. Britta L. Schröder, Geschäftsführerin der Stiftung TalentMetropole Ruhr gGmbH, stellte im Rahmen eines Workshops das Kooperationsprojekt „Digitales Klassenzimmer – Lernen im digitalen Wandel“ vor. (Foto: Initiativkreis Ruhr)

Koordiniert vom Ruhrbistum, haben sich Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Bildungsbereichen mit neuen Perspektiven für die Bildung im Ruhrgebiet auseinandergesetzt. Lösungen boten etwa drei Workshops, in denen praktische Tools und Methoden vermittelt wurden – darunter auch das Projekt „Digitales Klassenzimmer“ der TalentMetropole Ruhr.

Lernen auf Distanz und virtuelle Klassenräume: Was für Befürworter der Digitalisierung im Bildungswesen lange Zeit wie ein ferner Traum klang, ist nach den wochenlangen Schließungen der Schulen aufgrund des Corona-Shutdowns nun Realität geworden. Doch nicht alle profitieren von dieser Wende: Kinder und Jugendliche aus weniger privilegierten Haushalten fallen in ihrem Wissens- und Bildungsstand hinter ihre Mitschülerinnen und Mitschüler mit adäquater Betreuung zurück. Und auch der Zugang zu sowie der kompetente Umgang mit den notwendigen digitalen Medien ist für diese Zielgruppe keine Selbstverständlichkeit. Wie kann digitales Lernen gefördert werden? Welche Möglichkeiten gibt es, die Bildungsschere im Ruhrgebiet zu schließen? Und welche Chancen lassen sich aus der Krise für das Bildungssystem ableiten? Um Antworten auf diese und weitere Fragen ging es bei der Jahresveranstaltung des Rates für Bildung am Donnerstag, 1. Oktober, in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“.

Koordiniert vom Ruhrbistum, haben Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Bereichen neue Perspektiven für die Bildung im Ruhrgebiet diskutiert. Bischof Franz-Josef Overbeck hatte diesen jüngsten gesellschaftlichen Rat im Ruhrbistum 2019 ins Leben gerufen, nachdem sich zuletzt bei zahlreichen Veranstaltungen in der Bistums-Akademie – wie etwa bei der gemeinsamen Diskussionsreihe zur „Zukunft an der Ruhr“ mit dem Initiativkreis – gezeigt hatte, welch entscheidender Faktor die Bildung für die Ruhrgebiets-Entwicklung ist. Sprecherin des Rates für Bildung ist Bärbel Bergerhoff-Wodopia, Mitglied im Vorstand der RAG-Stiftung und Bildungsbeauftragte des Initiativkreises Ruhr. Sie betonte:

Der Rat für Bildung ist ein wichtiges Gremium für die Region. Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen müssen wir für bessere Bildungschancen von jungen Talenten alle Kräfte bündeln und gemeinsam neue Projekte initiieren. Ein besonderer Fokus muss dabei auch auf den chancenbenachteiligten Kindern und Jugendlichen liegen, damit kein Talent zurückbleibt. Ich bin davon überzeugt, dass uns das gelingen wird, denn wir vereinen im Rat für Bildung über seine Mitglieder große Bildungskompetenz. Er besteht aus Experten unterschiedlicher Disziplinen – angefangen bei Lehrkräften, Schulleiterinnen und Schulleitern über Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Experten aus Politik und vielen weiteren gesellschaftlichen Institutionen. Darauf bin ich sehr stolz.

Lösungen boten etwa drei Workshops, in denen praktische Tools und Methoden vermittelt wurden. Denn aus der Krise erwächst die Chance, die Digitalisierung im Bildungsbereich voranzutreiben. Pädagogen an Schulen sind auf Unterricht mit digitalen Mitteln häufig nicht ausreichend vorbereitet. Eine wichtige Voraussetzung ist deshalb, die digitalen Kompetenzen von Lehrenden und Lernenden zu steigern. Hier setzt das Kooperationsprojekt „Digitales Klassenzimmer – Lernen im digitalen Wandel“ der TalentMetropole Ruhr (TMR) an. Es zeigt, wie digitale Kommunikation und Kollaboration im Unterricht funktionieren. „Schulen – insbesondere im Ruhrgebiet – haben eine zentrale Rolle, damit Kinder und Jugendliche vor allem aus sozialen Risikolagen digital nicht noch weiter abgehängt werden. Wir bieten Lehrkräften praxisnahe und kostenlose Unterstützung an, die sie sofort umsetzen können“, sagte Dr. Britta L. Schröder, Geschäftsführerin der Stiftung TalentMetropole Ruhr gGmbH, bei der Vorstellung des Projekts in der Akademie. Im Zuge des Pilotprojekts hat das Cuno-Berufskolleg in Hagen zehn digitale Unterrichtseinheiten mit unterschiedlicher und von MEDION bereitgestellter technischer Ausstattung getestet. Anschließend hat die TalentMetropole Ruhr jede Unterrichtseinheit gemeinsam mit Accenture evaluiert. Das Konzept lässt sich deshalb unmittelbar auf andere Schulen übertragen.

Bistumsarbeit

In der Geschichte des Ruhrbistums spielen die gesellschaftspolitischen Räte eine wichtige Rolle. Seit 2014 organisiert die Akademie „Die Wolfsburg“ die Arbeit der Räte. Durch diese enge Kooperation schafft das Bistum wichtige Verbindungen zwischen den Themen der Räte und der Akademie. Neben dem neuen Rat für Bildung gibt es den Rat für Wirtschaft und Soziales, den Rat für Gesundheit und Medizinethik und den Rat für Land- und Forstwirtschaft.

Seit 1960 – zwei Jahre nach der Bistumsgründung – ist die „Wolfsburg“ die Katholische Akademie des Bistums Essen. Zugleich ist das ehemalige Kur- und Waldhotel des Mülheimer Solebades Raffelberg (Baujahr 1906) mit einer denkmalgeschützten Jugendstilfassade Tagungshaus für zahlreiche Gastgruppen aus Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft.

Interview: „Der Wert von Bildung steht plötzlich bei allen im Fokus“

Dr. Manuela Endberg, Leiterin des Forschungsbereichs „Schulentwicklung und Digitalisierung“ in der Arbeitsgruppe Bildungsforschung an der Universität Duisburg-Essen. (Foto: UDE)

Aber auch der Blick auf die Wissenschaft war ein wichtiges Thema. Beleuchtet wurde es von Dr. Manuela Endberg, Leiterin des Forschungsbereichs „Schulentwicklung und Digitalisierung“ in der Arbeitsgruppe Bildungsforschung an der Universität Duisburg-Essen. Sie hat Erziehungswissenschaften an der TU Dortmund studiert und zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht promoviert. Wir haben mit der Wissenschaftlerin über die vorläufigen Erkenntnisse aus der Corona-Krise für das Bildungssystem gesprochen.

Frau Dr. Endberg, die Corona-Krise hat Defizite der Schulen mit Blick auf die Digitalisierung offenbart. Wie groß ist das Problem?
Die Corona-Krise hat noch einmal verdeutlicht, dass der Zugang zu Bildung in Deutschland sozial ungleich ausfällt. Aktuelle Studien zeigen, dass es Familien gibt, die komplett ohne Internetanschluss, Computer und Drucker leben und die nicht ständig Zugriff auf digitale Endgeräte haben. Dies ist eine Facette der „Digital Gap“, der digitalen Kluft innerhalb unserer Gesellschaft. Gleichzeitig ist die These von den „digital Natives“ wissenschaftlich widerlegt: Viele Kinder und Jugendliche sind nicht in der Lage, kompetent – also kritisch, reflektiert, kreativ und produktiv – mit digitalen Technologien und Informationen umzugehen. Dies zeigt sich besonders deutlich bei Schülerinnen und Schülern aus benachteiligten Familien. Das Bildungssystem ist daher stark gefordert, diesem Bereich noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, auch um gesellschaftliche Teilhabechancen für alle zu ermöglichen. Zudem gibt es eine eindeutige Forschungslage, dass lange Phasen ohne Schulunterricht bei Kindern aus benachteiligten Verhältnissen zu Rückschritten beim Kompetenzerwerb führen – im Unterschied zu Kindern aus privilegierten Familien mit viel mehr Unterstützungsmöglichkeiten. Die soziale Herkunft ist in Deutschland also nach wie vor eng gekoppelt an die schulischen Leistungen – diese soziale Ungleichheit droht sich nun noch zu verschärfen. Und das ist mit Blick auf Bildungsgerechtigkeit ein großes Problem.

Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es, um diese Bildungsschere zu schließen?
Viele. Zunächst einmal sollten Kinder und Jugendliche aus weniger privilegierten Milieus besonders berücksichtigt werden. Hierbei können die Schulen am besten beurteilen, wer als erstes adressiert werden muss. Denn jedes junge Talent, das auf der Strecke bleibt, weil es etwa zuhause nicht optimal gefördert werden kann, ist eines zu viel. Zudem ist es wichtig, dass Schulen stärker in die Netzwerkarbeit gehen – sei es mit anderen Schulen oder durch die Kooperation mit öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken oder mit Unternehmen und anderen Institutionen wie etwa Hochschulen, NGOs oder Stiftungen. Und natürlich muss auch eine technische und pädagogische Unterstützung der Lehrkräfte im Bereich der Digitalisierung gewährleistet sein. Auch die Lehrerbildung ist gefordert. Sie muss den Erwerb medienpädagogischer Kompetenzen noch viel stärker in die Ausbildung integrieren, um der digitalen Spaltung entgegenzuwirken. Dieser systematische Wandel braucht einserseits zwar Zeit. Andererseits muss aber schnell gehandelt werden - und hier ist unter anderem die Lehrkräftefortbildung gefragt.

Die TalentMetropole Ruhr hat es sich zur Aufgabe macht, Talente unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zu fördern. Das Format TalentParcours des Technikzentrums Minden-Lübbecke e.V. (Foto: TMR) findet etwa noch bis Jahresende statt. Dabei können Jugendliche an Schulen im Ruhrgebiet ihre Interessen ausloten.

Lassen sich aus der Corona-Krise denn auch Chancen für das Bildungssystem ableiten?
Ja, denn in den vergangenen Monaten ist besonders deutlich geworden, was wir ohne Schule in Präsenz aufgeben. Corona hält dem Bildungssystem derzeit den Spiegel vor: Bekannte, aber gerne ignorierte Baustellen werden sichtbar, ohne dass man daran vorbeischauen könnte. Der Wert von Bildung steht plötzlich bei allen im Fokus. Was in Kitas, Schulen und Universitäten vor Ort geleistet wird, ist präsenter denn je. Außerdem habe ich in letzter Zeit sehr viel Mut, Zuversicht und Kreativität gesehen. Es wurde viel ausprobiert, miteinander geredet und auch verstärkt fächerübergreifend nach Lösungen gesucht. Die Politik hat, so scheint es mir, erkannt, dass man beim Thema Bildung bedarfsgerechter handeln sollte und noch mehr in den Dialog gehen muss. Wir haben aktuell eine nahezu einmalige Situation zu hinterfragen, welche Stärken und Schwächen in unserem Bildungssystem stecken. Diese Chance der Bestandsaufnahme sollten wir nutzen – und nachhaltig in die Zukunft investieren.

Wir haben aktuell eine nahezu einmalige Situation zu hinterfragen, welche Stärken und Schwächen in unserem Bildungssystem stecken.

Wie schätzen Sie die Arbeit von Institutionen wie der TalentMetropole Ruhr ein, die mit dem Digitalen Klassenzimmer ein Angebot vor allem für Lehrende geschaffen hat?
Diese Bildungsarbeit ist als unterstützende Leistung sehr wichtig und hat für die Schulen in der Region einen großen Mehrwert. Ein solches Projekt zeigt: Die Corona-Krise bietet Möglichkeiten für unkonventionelles Handeln und somit dauerhaft die Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit.

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