Reportage
Ruhrgebiet knüpft Startup-Kontakte nach Paris
23. September 2019




Ein Besuch im Gründer-Ökosystem der Metropole nebenan: Die „Station F“ ist der größte Startup-Campus der Welt.
Wo einst die französische Staatsbahn SNCF ihre Züge repariert hat, im 13. Arrondissement von Paris, suchen heute Startups unter Volldampf ihr Glück: Die „Station F“ nennt sich selbst den „größten Startup-Campus der Welt“. Eine kleine Delegation aus dem Ruhrgebiet von Initiativkreis Ruhr, Industrie- und Handelskammer (IHK) Dortmund und startport in Duisburg hat anlässlich der Startup-Konferenz „B2B Rocks“ das Gründerzentrum der Superlative besucht. Ziel: das aufstrebende Startup-Ökosystem des Ruhrgebiets mit dem in der Metropole „nebenan“ zu verknüpfen.
Die Zahlen der „Station F“ lassen staunen: In den denkmalgeschützten Hallen arbeiten auf 34.000 Quadratmetern – einer Fläche etwa so groß wie fünf Fußballfelder – mehr als 1.000 Startups in 600 Räumen, treffen sich Multiplikatoren und Risiko-Investoren, laufen über 30 Accelerator-Programme. Vater des zweiten Lebens der „Station F“ ist der französische Geschäftsmann Xavier Niel, ein Mann, der alle Höhen und Tiefen des Unternehmertums erlebt hat. 250 Millionen Euro investierte er in die ehemaligen Zughallen.
Zur Konferenz „B2B Rocks“ tummeln sich dort mehr als 500 Gründer, 50 internationale Speaker und 25 Venture-Capital-Fonds. Die Themen reichten von Sales & Marketing über Personalmanagement bis hin zur Internationalisierung. Die Gründer erhoffen sich Antworten auf Fragen wie „Welche technischen Voraussetzungen muss ich haben, wenn ich sicher mit einem großen Unternehmen zusammenarbeiten will?“, oder „Wie etabliere ich meine Marke im B2B Business?“.




„Unser gemeinsames Ziel ist es, das Ökosystem der Metropolregion Paris mit seinen mehr als zwölf Millionen Einwohnern besser kennenzulernen und neue Trends der Startup-Szene im B2B-Bereich aufzuspüren“, sagt Britta Dombrowe, Gründungsexpertin des Initiativkreises Ruhr. Hintergrund: NRW und besonders das Ruhrgebiet sind B2B-Land, hier dreht sich also vieles um Business-to-Business-Geschäfte zwischen Unternehmen. Laut dem Startup-Monitor für Nordrhein-Westfalen 2019 machen knapp drei Viertel der Startups im Bundesland ihre Geschäfte im B2B-Sektor.
Neben Britta Dombrowe und Stefan Weber, ebenfalls Startup-Spezialist des Initiativkreises, gingen Dominik Stute, Head of Unit Foreign Market und Development der IHK zu Dortmund, und Jan Herzogenrath, Startup-Manager im startport, mit auf die Reise von der Ruhr an die Seine. In vielen Projekten, die auf den Gründergeist im Ruhrgebiet einzahlen, arbeiten diese Institutionen bereits heute eng zusammen: Der alljährliche Reverse-Pitch in der IHK zu Dortmund oder das Mentoring von Startups im startport sind Beispiele der engen Kooperation. Begleitet wird die Delegation von Tina Waedt von der deutsch-französischen Industrie- und Handelskammer.
Gaultier Brand-Gazeau führt die Gäste durch das Herz des französischen Entrepreneurships. Er kümmert sich für La French Tec um die internationalen Kontakte. La French Tec ist ein Programm der französischen Regierung. Es soll Frankreichs Gründer-Expertise fördern und international bekannt machen. Inzwischen ist die erfolgreiche Initiative zu so etwas wie einem Synonym für technische Innovation „fabriqué en France“ geworden.
Höhere Gründerdichte als im Silicon Valley
Mit seinem bewegten Gründerleben hat „Station F“-Investor Xavier Niel unter den jungen Gründern Kultstatus. Zur Eröffnung vor zwei Jahren verglich er die „Station F“ mit dem kalifornischen Startup-Hotspot Silicon Valley – nur dass die Startup-Dichte in seinem Haus höher sein werde. Staatspräsident Emmanuel Macron, prominentester Gast zu Einweihung, wird das gerne gehört haben. Große Namen sind vertreten, um Startups zu fördern und von ihnen zu profitieren: Adidas, Facebook, L’Oreal, Microsoft, Ubisoft und andere haben hier entsprechende Programme aufgelegt.
Niels Lieblingsprojekt ist aber das „Fighters Program“. Darin gründen junge Menschen, die zwar eine gute Idee, aber wenig Gründungs-Know-how haben – und die das Leben nicht gerade bevorzugt hat: Das Programm ist reserviert für Flüchtlinge und Menschen aus bildungsfernen Haushalten.
Die „Station F“ wirkt auf die französische Startup-Szene wie eine Patisserie voller Süßigkeiten auf die Bienen: Das Viertel wird zum Tech-Standort, in die Nischen ziehen Geschäfte und Restaurants ein, das Quartier wirkt jung und belebt. Auch „Usine IO“ fühlte sich angelockt und siedelte sich in unmittelbarer Nachbarschaft an. Im „Usine IO“ begleitet der Ingenieur Benjamin Carlu Startups auf dem Weg von der Idee zum Prototypen. In einem Programm ganz ähnlich dem des Data Hub Ruhr der Initiativkreis-Gründerallianz formulieren etablierte Unternehmen besondere Fragestellungen, auf deren Lösung sich Startups bewerben können. Ingenieurwissenschaftliche Expertise, Maschinen, Messgeräte und Material stellt „Usine IO“ zur Verfügung. Das Arbeitstempo ist enorm: So entstand binnen eines Jahres aus einer Idee und einem kleinen Plastikmodell eine marktreife Kabine, die vollautomatische Sehtests macht. Künftig sollen etwa die Kunden in Einkaufszentren Sehtests machen wie Passbilder in Fotoautomaten.




Ein Gründerzentrum wie die „Station F“ hat das Ruhrgebiet (noch) nicht zu bieten. Doch auf dem Boden einer großen industriellen Geschichte wachsen in jüngster Zeit überraschend viele neue Pflanzen. Laut dem aktuellen Startup-Monitor für NRW nehmen Gründer und Gründerinnen aus NRW mit 19 Prozent den bundesweit höchsten Anteil der Studienteilnehmer ein. Die hiesige Startup-Szene wächst dynamisch. „Der Initiativkreis Ruhr trägt mit dem Gründerfonds Ruhr, der Gründerallianz Ruhr, dem Data Hub Ruhr, der Unterstützung der FuckUp Nights Ruhrgebiet, des Salon des Créateurs und vor allem des RuhrSummit gewiss zu dieser Tendenz bei“, sagt Britta Dombrowe.
„Unsere Region an der Ruhr ist gewiss nicht mit dem Ballungszentrum Paris zu vergleichen. Anders als dort leben hier rund fünf Millionen Menschen in polyzentrischen Strukturen. Unser Ökosystem ist viel kleinteiliger. Dennoch treiben die Gründer hier natürlich die gleichen Fragen und Bedürfnisse um.“ Ihr Wunsch: Künftig sollen das Ruhrgebiet und Paris enger zusammenarbeiten. „Wir haben viele gute Kontakte mitgebracht und werden in engerem Austausch mit den französischen Kollegen stehen. Dort hat man nun mit uns direkte Ansprechpartner für B2B–Startups, die den Blick nach Deutschland wagen. Dass wir hier eine attraktive B2B-Region sind, ist durchaus bekannt, aber dennoch zögern viele Gründer beim Schritt über die Landesgrenzen. Hier kann ein enger Austausch der Ökosysteme Zweifel ausräumen.“ Eine Einladung zum RuhrSummit am 29./30. Oktober haben die Reisenden schon ausgesprochen. Und die Jahrhunderthalle in Bochum, in die im vergangenen Jahr bereits 4.500 RuhrSummit-Teilnehmer kamen, ist ja auch keine schlechte Örtlichkeit. Von einer „Station F“ könne das Ruhrgebiet aber erst einmal nur träumen, meint Dombrowe.
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