Interviews
„Mein erstes Ausbildungsjahr hat sich angefühlt wie eine Woche“
21. September 2020




Für Tim Richter, 18, aus Mülheim an der Ruhr waren die TalenTage Ruhr 2018 ein wichtiger Meilenstein: Bei der ElternAkademie Ruhr fängt er Feuer für den Beruf des Anlagenmechanikers - und bewirbt sich bei der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft. Heute sagt er: Das war die beste Entscheidung seines Lebens. Ein Interview mit ihm und seiner Ausbildungskoordinatorin.
Tim Richter, 18, aus Mülheim an der Ruhr macht seit 2019 eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Rohrsystemtechnik bei der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft (RWW). Auf seinen Traumjob gestoßen ist er während der TalentTage Ruhr an seiner damaligen Schule im Hexbachtal: Dort fand im September 2018 die ElternAkademie Ruhr statt. Von der RWW-Ausbildungskoordinatorin Beate Bacevicius erfährt er damals einen ganzen Abend lang aus erster Hand, was den Beruf des Anlagenmechanikers ausmacht und wie der Bewerbungsprozess aussieht. Zwei Jahre später können beide sagen: Die ElternAkademie war für Tim und das Unternehmen ein Gewinn. Wir haben mit ihnen über Talentförderung in Zeiten von Corona gesprochen.
Bei den TalentTagen Ruhr geht es noch bis zum 26. September darum, junge Menschen im Ruhrgebiet dabei zu unterstützen, ihre Talente zu entdecken, zu fördern und mit Blick auf die berufliche Zukunft zu nutzen. Tim, wer sind die größten Förderer in deinem Leben?
Tim: Meine Eltern. Sie haben mich schon während meiner Schulzeit unterstützt und darin bestärkt, eine Ausbildung zu machen – darüber bin ich heute sehr froh. Mein Vater ist selbst Handwerker und gibt mir immer wieder hilfreiche Tipps, wenn ich ihm von meiner täglichen Arbeit berichte.
Wäre ich nicht zu der Veranstaltung während der TalentTage Ruhr gegangen, würde ich heute irgendwo im Büro sitzen und mich langweilen.Tim Richter




Tim, 2018 hast du im Rahmen der TalentTage Ruhr an der ElternAkademie Ruhr teilgenommen. Wie wichtig war der Besuch der Veranstaltung für deinen Lebensweg?
Tim: Ganz wichtig. Und dabei wollte ich damals gar nicht zu der Veranstaltung gehen. Ich dachte: Das heißt ElternAkademie, also sollen auch nur Mütter und Väter dabei sein. Aber meine Eltern haben mich quasi gezwungen mitzukommen, weil es ihnen wichtig war. Dafür bin ich beiden heute sehr dankbar. Denn wäre ich nicht zu der Veranstaltung während der TalentTage Ruhr gegangen, hätte ich mich wahrscheinlich nur als Vermessungstechniker beworben und würde heute irgendwo im Büro sitzen und mich langweilen.
Was war denn der entscheidende Moment, bei dem du gedacht hast: Jetzt bin ich aber doch froh, heute Abend hier zu sein?
Tim: Im Anschluss an den Vortrag von Frau Bacevicius hatte ich die Möglichkeit, mich mit einigen RWW-Auszubildenden zu unterhalten, Fragen zu stellen und noch mehr über das Unternehmen und die Ausbildung zu erfahren. Danach wusste ich: Ja, das kann ich mir für meine berufliche Zukunft gut vorstellen, dort möchte ich mich auf jeden Fall als Anlagenmechaniker bewerben.
Frau Bacevicius, warum ist das Format ElternAkademie Ruhr der TalentMetropole Ruhr ein Gewinn für Eltern, Jugendliche und Ausbildungsbetriebe?
Bacevicius: Ich finde, dass man nie früh genug anfangen kann, Informationen in die Welt zu streuen – insofern halte ich das Format der ElternAkademie Ruhr für unglaublich wichtig. Eltern, Schüler und Unternehmensvertreter haben so eine tolle Möglichkeit, sich einen ganzen Abend lang auf Augenhöhe zu begegnen. Die Schüler sind in ihrer gewohnten Umgebung und fühlen sich wohl. Die Eltern haben keine Scheu, viele Fragen zum Unternehmen und zum Bewerbungsprozess zu stellen. Und ich kann mein Gegenüber mit einem lockeren, kurzen Vortrag erreichen. Außerdem darf ich viele Werkstücke aus dem Betrieb mitnehmen – und habe meine Auszubildenden als Geheimwaffe im Schlepptau. Wenn die Schüler sich nicht trauen, mich zu fragen, darf der Auszubildende ran. Bei Tim hat das ganz wunderbar funktioniert.
ElternAkademie Ruhr: Persönlicher Austausch hilft Jugendlichen




Tim, hat dir dieser persönliche Austausch auch beim Schreiben der Bewerbung geholfen?
Tim: Ja, auf jeden Fall. Für meine Bewerbungen als Vermessungstechniker habe ich immer denselben Text benutzt, das war nicht wirklich sehr persönlich. Für die Bewerbung bei RWW konnte ich dazu schreiben, dass ich bei der ElternAkademie Ruhr schon Feuer für den Beruf gefangen habe und bereits einige Einzelheiten kenne. Deshalb ist es mir in dem Anschreiben auch leichter gefallen, mich zu verkaufen.
Frau Bacevicius, wie macht sich Tim in seinem zweiten Ausbildungsjahr? Was sagen die Kollegen über ihn?
Bacevicius: Tim entwickelt sich super, das sagt auch sein Ausbilder, Jan Kohlbrecher. Wir sind der Meinung, dass er sich für den richtigen Job entschieden hat. Er brennt für den Beruf des Anlagenmechanikers, ist sehr genau und zuverlässig und manchmal auch kritisch, was aber gut ist. Wir merken, dass Tim mit dem Berufswunsch und seiner Unternehmenswahl sehr glücklich ist. Und wir sind es auch.
Tim, kannst du das bestätigen: Gehst du jeden Tag gerne zur Arbeit?
Tim: Ja. Das erste Ausbildungsjahr hat sich eher angefühlt wie eine Woche. Die Zeit geht jeden Tag so schnell um, weil es mir einfach Spaß macht.
Die Ausbildungsplatzsuche war in diesem Jahr wegen Corona für die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen besonders schwierig. Frau Bacevicius, wie geht Ihr Unternehmen damit um?
Bacevicius: Uns hat die Corona-Pandemie zum Glück nicht aus der Bahn geschmissen. Wir sind aber schon seit Langem gut digital aufgestellt. Unser kompletter Bewerbungsprozess wird online gesteuert. Außerdem findet der Einstellungstest digital statt, sodass jeder ihn auch von zu Hause aus machen kann. Die Bewerbungsgespräche haben wir mit dem nötigen Abstand in unseren großen Veranstaltungsräumen durchgeführt. In Einzelfällen fanden Gespräche aber auch per Skype statt, das war neu und irgendwie auch spannend. Dann stand dann das Probe-Arbeiten im Betrieb an. Das zeigt uns, wie die Fertigkeiten des Bewerbers sind. Hier geht es um Fragen wie: Kann er oder sie mit der Zange umgehen oder ein Rohr und die Einstecktiefe bemessen? Für diesen letzten Bewerbungsschritt haben wir zwei anstatt vier Bewerber gleichzeitig zugelassen. Am Ende haben alle Maßnahmen zum Ziel geführt: Zum 1.8.2020 haben wir sechs neue Auszubildende eingestellt. Aktuell werden 26 junge Menschen in unserem Betrieb ausgebildet.
Ich finde es wichtig, dass die neuen Auszubildenden auch aus meinen Fehlern lernen.Tim Richter




Sind auch Mädchen darunter?
Bacevicius: Nein, aktuell nicht. Wir haben aber auch schon Mädchen zur Industriemechanikern oder Elektrikerin ausgebildet– und die konnten super mit den Jungs mithalten, haben tolle Abschlüsse gemacht und fühlten sich bei uns sehr wohl.
Tim, tauscht du dich mit den anderen Auszubildenden aus?
Tim: Ja, ich helfe immer, wo ich kann und finde es zum Beispiel wichtig, dass die neuen Auszubildenden auch aus meinen Fehlern lernen.
Die da wären?
Tim: Das Entgraten – also das Feilen von Metallstücken, damit man sich nicht verletzt – habe ich im ersten Ausbildungsjahr oft zu schnell gemacht. Außerdem ist es wichtig, dass man nur in eine Richtung feilt. Diese Tipps gebe ich natürlich gerne weiter.
Die TalentTage Ruhr gelten bundesweit als einzigartiges Bildungsprojekt. In diesem Jahr liegt ein Schwerpunkt der mehr als 200 Veranstaltungen unter anderem auf dem MINT-Bereich. Tim, wann und wie wurde dein Interesse für technische Fächer geweckt?
Tim: Das grundsätzliche Interesse an Technik hatte ich immer schon, weil mein Vater ja Handwerker ist. Deshalb habe ich zu Hause immer schon viel bei kleineren Arbeiten geholfen. Im Technikunterricht in der Schule konnte ich als Einserschüler dann sogar meinen Mitschülern helfen, weil mir die Inhalte in der Regel leicht gefallen sind.
Frau Bacevicius, wie war das bei Ihnen?
Bacevicius: Zu meiner Zeit gab es eigentlich nur den Gang ins Berufsinformationszentrum und die Möglichkeit, Praktika zu machen. Ich wusste relativ früh, dass es für mich Richtung Büro gehen soll. Am Ende hat aber das Schicksal entschieden. Ich habe mich nach der Schule als Industriekauffrau bei RWW beworben und kann sagen: Das war genau die richtige Entscheidung.
Hätten Sie sich denn ein Format wie die TalentTage Ruhr als Jugendliche gewünscht?
Bacevicius: Ja, weil es den Jugendlichen dabei hilft, sich in alle Richtungen zu informieren. Oft geben die Eltern vor, welche Ausbildung ihre Kinder machen sollen. Das war auch bei meinem Mann so, der – wie sein Vater – eine Ausbildung zum Drucker gemacht hat. Später musste er dann umschulen, weil es gar nicht das richtige für ihn war. Genau das sollten wir möglichst vermeiden, denn es sind verschenkte Jahre. Bei der TalentMetropole Ruhr und den TalentTagen Ruhr geht es darum, verborgene Talente zu entdecken. Genau das brauchen die jungen Menschen in unserer Region. Möglichkeiten, Dinge auszuprobieren, in Berufe reinzuschnuppern und eigene Entscheidungen zu treffen. Wir bei RWW bieten deshalb auch Praktika in den Schulferien an. Dort können die Jugendlichen entscheiden, ob Sägen, Bohren und auch bei Regen Rohre auf der Baustelle zu verlegen etwas für sie ist. Aktuell ist das wegen Corona zwar nicht möglich, aber wir hoffen auf das kommende Jahr.
Es ist richtig, junge Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zu fördern.Beate Bacevicius




Bildungsinitiativen wie die TalentMetropole Ruhr sind für das Ruhrgebiet also besonders wichtig?
Bacevicius: Ja, sie sind sehr wichtig – weil wir im Ruhrgebiet unterschiedliche soziale Milieus haben. Und genau deshalb ist es richtig, junge Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zu fördern, so wie es die TMR macht. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass die Unterstützung seitens der Familie nicht mehr so intensiv ist wie früher, weil Eltern heute beruflich stärker eingebunden sind. Viele junge Menschen sind deshalb mehr auf sich alleine gestellt. Damit kann nicht jeder umgehen. Deshalb sind Initiativen wie die TMR so wichtig, weil sie jungen Menschen den Weg weisen. Ich fände es schön, wenn noch mehr Firmen aus der Region die Idee unterstützen und so noch mehr Angebote für junge Talente entstehen.
Tim, was wünschst du dir für die kommende Zeit?
Tim: Dass ich meine Zwischenprüfung bald gut meistere und auch die restliche Ausbildungszeit bis Januar 2022 weiterhin gut verläuft.
Bacevicius: Und ich wünsche dir, dass du weiterhin so viel Spaß und Freude an deiner täglichen Arbeit hast wie bisher. Und weil wir bedarfsgerecht ausbilden, ist es unser Ziel, die Nachwuchskräfte auch nach der abgeschlossenen Ausbildung bei RWW einzusetzen. Ich hoffe, du bleibst uns lange erhalten.
Diesen Beitrag