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Die Besten im Westen
+++ Update: Weltrekord auf Zypern +++
93 Meter tief mit zwei Flossen: Bei den AIDA Limassol Depth Games auf Zypern ist Jennifer Wendland in der sogenannten Bi-Fin-Kategorie so tief wie keine Frau zuvor getaucht. Lesen Sie das Interview unten auf dieser Seite:
Reportage
Jennifer Wendland: Tiefenjägerin aus dem Ruhrgebiet
06. Mai 2021




Spitze ist, wer ganz weit runter kommt: Im Apnoetauchen braucht es Höchstleistungen, um den Tiefpunkt zu erreichen. Jennifer Wendland ist die tiefste Taucherin Deutschlands. Mit nur einmal Luftholen hat es die Essenerin bis auf 117 Meter hinunter und wieder hinauf geschafft. Auf dem Weg zur Weltmeisterschaft 2021 hat die 35-Jährige aktuell das Freiwassertraining wieder aufgenommen. Über eine Frau mit langem Atem, den Reiz des Ruhrgebiets als Sportregion, die Vereinbarkeit von Passion und Profession und die Frage, was gefährlicher ist: Fahrradfahren oder Freitauchen.
117 Meter – das ist so tief, wie der Oberhausener Gasometer hoch ist. Als Jennifer Wendland 2018 im ägyptischen Sharm El Sheikh diesen deutschen Rekord in der Disziplin „No Limit“ markierte, bei dem sie sich von einem Stahlschlitten an einem Seil entlang in die Tiefe und an einem luftgefüllten Hebesack wieder in die Höhe reißen ließ, war sie dafür etwa drei Minuten unterwegs.
Jennifer Wendland kann in der Disziplin „Statik“, also mit dem Gesicht nach unten im Wasser liegend, bis zu sieben Minuten lang die Luft anhalten. „Ich hoffe, dass ich in diesem Jahr über die sieben Minuten komme“, sagt sie. Sie hält alle deutschen Tiefenrekorde der Frauen und Titel in gleich sechs Disziplinen des internationalen Freitauchverbandes AIDA, darunter einmal WM-Silber und zweimal WM-Bronze.
Im Oktober 2021 soll im türkischen Kaş die nächste Weltmeisterschaft stattfinden. Dafür trainiert Jennifer Wendland im Durchschnitt vier Stunden pro Tag: Schwimmen, Radfahren, Krafttraining, mentales Training, Dehn- und nicht zuletzt, na klar, Atemübungen. Kürzlich ist sie nach dem Winter im tiefen und kalten Kreidesee Hemmoor in der Nähe von Cuxhaven ins Freiwasser-Training zurückgekehrt.
Da unten lernst du viel über dich selbst und deine Grenzen. Das ist einfach eine schöne Entdeckungsreise.




Das Ruhrgebiet bietet als Sportregion viele Möglichkeiten
Warum tut sie das? „Du musst die Liebe zum Wasser mitbringen“, sagt sie. Schon als Kind sei sie gerne geschwommen. Als sie an der Universität in Duisburg ihr Masterstudium in „Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik“ machte, war das Hallenbad nur 200 Meter entfernt. Da gibt es ein Unterwasser-Rugby-Team. Sechs Jahre spielte Jennifer Wendland dort mit, bis sie das Freitauchen entdeckte. „Die Ruhe im Wasser liegt mir mehr als der Kampf um den Ball.“
Überhaupt: Adrenalin-Junkies haben im Freitauchen nichts verloren. Wer möglichst wenig Sauerstoff verbrauchen will, muss tiefenentspannt sein. „Ich bin ganz fokussiert auf den Tauchgang, alles andere hat in meinem Kopf dann nichts verloren. Du bist im Hier und Jetzt“, sagt die Sportlerin. Sie liebt die Freiheit, im tiefen Blau ganz bei sich zu sein. „Da unten lernst du viel über dich selbst und deine Grenzen. Das ist einfach eine schöne Entdeckungsreise.“
Jennifer Wendland ist in Herten aufgewachsen, und das Ruhrgebiet schätzt sie auch als Sportregion. „Als Metropole bietet es unendlich viele Möglichkeiten.“ Auch für Randsportarten gebe es hier eine sehr gute Infrastruktur. Insbesondere im Tauchsport hat das Ruhrgebiet eine große Tradition mit vielen Vereinen, Gewässern und Schwimmbädern.
Ich habe gelernt, auch im Stress ruhig und gefasst zu bleiben.




Außerdem „bietet das Ruhrgebiet viele verschiedene Jobchancen“, sagt Jennifer Wendland. Nicht zuletzt für jemanden, der wie sie unbedingt in die Energiebranche wollte. Über RWE und innogy ist sie zu E.ON gekommen. Hier hat sie eine 70-Prozent-Stelle als Referentin für die vertriebliche Koordination regionaler Marken. E.ON gibt ihr die Freiheit, in Vollzeit zu arbeiten, wenn sie in Deutschland ist, und nur in Notfällen erreichbar zu sein, wenn sie im Ausland abtaucht. Drei bis vier Monate im Jahr konzentriert sich Jennifer Wendland ganz auf das Training und die Wettkämpfe. Sie reist dafür zum Beispiel nach Ägypten, Griechenland oder in die Türkei.
Im Gegenzug hat E.ON in ihr eine Mitarbeiterin, die so schnell nichts aus der Fassung bringt. „Ich habe gelernt, auch im Stress ruhig und gefasst zu bleiben.“ Apnoeisten seien Profis im Umgang mit Emotionen, die auf dem Weg nach unten mangels äußerer Reize nur so auf sie einströmen. Davon kann Jennifer Wendland erzählen. Das tut sie auch – zum Beispiel bei Vorträgen darüber, welche körperlichen und geistigen Herausforderungen sie in ihrem Sport meistern muss und wie sie daraus im Beruf und im Privatleben Gewinn zieht.
Denn die Belastungen bei einem Tauchgang in diese großen Tiefen sind enorm. Auf 120 Metern Tiefe herrscht ein Druck von 13 Bar, also etwa das Sechsfache, das Autofahrer an der Tankstelle in den Reifen ihres Wagens pumpen. Die Lungenflügel werden dabei bis auf Tennisballgröße komprimiert. Mediziner können bis heute nicht erklären, wie der menschliche Körper solchen Bedingungen standhält.
Der Sport ist sehr, sehr sicher, wenn du dich an die Sicherungsregeln hältst. Wir tauchen niemals allein, planen die Tauchgänge genau, können uns selbst einschätzen und sind an einem Seil gesichert.
Dennoch lässt sich das Risiko laut Jennifer Wendland auf ein verantwortungsvolles Maß reduzieren: „Der Sport ist sehr, sehr sicher, wenn du dich an die Sicherungsregeln hältst. Wir tauchen niemals allein, planen die Tauchgänge genau, können uns selbst einschätzen und sind an einem Seil gesichert. Freitauchen ist ungefährlicher als Rennradfahren im Straßenverkehr, denn ich kann alle sicherheitsrelevanten Faktoren kontrollieren.“
Dem ungebremsten Rausch der Tiefe hat zuletzt auch AIDA einen Riegel vorgeschoben: Der Freitauchverband erkennt seit 2019 keine neuen Rekorde in der „No Limit“-Disziplin mehr an. Jennifer Wendlands 117-Meter-Marke steht deshalb für die Ewigkeit. Im Oktober in der Türkei will sie dann Jagd auf neue Titel machen.
Bis zu 117 Meter tief: Jennifer Wendlands nationale Rekorde
Mit und ohne Flossen, mit und ohne Gewicht
- Constant Weight No-Fins (Tieftauchen ohne Flossen): 57m
- Constant Weight Bi-Fins (mit zwei Flossen): 80m
- Constant Weight Monofin (mit einer Monoflosse): 90m
- Free Immersion (mit den Armen ziehend an einem Seil): 88m
- Variable Weight (mit Gewicht hinunter, ohne wieder herauf): 105m
- No Limit (mit Schlitten und Hebesack): 117m
Jennifer Wendland taucht Weltrekord: „Mein Traum ist wahr geworden“
So weit hinunter hat es in diesem Wettbewerb noch keine andere Frau in der Welt geschafft: Tieftaucherin Jennifer Wendland kam bei den Limassol Depth Games des Weltverbands AIDA auf Zypern in der Kategorie Constant Weight Bi-Fins (Tieftauchen mit zwei Flossen) am 2. Juli bis auf eine Tiefe von 93 Metern und wieder zurück. Das ist gleich 13 Meter tiefer als bei ihrem Deutschen Rekord. Im Interview erläutert sie, was ihr der Weltrekord bedeutet und was sie als nächstes erwartet:
Herzlichen Glückwunsch zum Weltrekord! Du hattest vorher ja schon eine ganze Reihe nationaler Rekorde gebrochen. Was bedeutet Dir nun dieser große internationale Titel?
Seit ich alle nationalen Rekorde halte, habe ich natürlich nach dem nächsten großen Ziel gesucht. Ein Weltrekord schien für mich aber immer unerreichbar und unvorstellbar. Jetzt, wo nach so viel hartem Training mein Traum wahr geworden ist, fällt es mir immer noch schwer zu realisieren, was ich da geleistet habe. Ich freue mich riesig, besonders weil ich noch weiterhin Möglichkeiten sehe, mich zu verbessern und noch tiefer zu tauchen.
Wie verlief die Vorbereitung auf den Wettbewerb – und ab welchem Zeitpunkt warst Du sicher, dass Du es schaffen kannst?
Die Vorbereitungen waren leider dramatischer, als ich es mir gewünscht hatte. Für den Wettkampf waren der 2. und 4. Juli eingeplant. Eine Woche vor dem Wettkampf hatte ich noch mit einer Lebensmittelvergiftung zu kämpfen und war total erschöpft. Also hatte ich mir vorgenommen, den Rekord erst am zweiten Wettkampftag anzugehen, um etwas mehr Zeit für die Regeneration zu haben. Zwei Tage vor dem Wettkampf sah der Wetterbericht für den zweiten Wettkampftag jedoch nicht gut aus. Da mein letzter Testtauchgang an dem Tag extrem gut war, habe ich mich dann kurzfristig dazu entschieden, den Rekord doch schon am 2. Juli anzugehen. Rückblickend eine sehr gute Entscheidung.
Was ist Dein nächstes Ziel?
Mein nächstes Ziel ist die Weltmeisterschaft im September, die ebenfalls auf Zypern, dem Ort meines Rekordes, stattfinden wird. Ich fühle mich hier im Wasser sehr wohl und hoffe, dass ich meine gute Form bis zur WM halten oder sogar noch ausbauen kann.
Video zum Weltrekord
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