Neuigkeiten
Schüler wünschen sich das Ruhrgebiet nachhaltig, innovativ und tolerant
11. Oktober 2019
Die „perfekte Schwarmstadt“ vernetzt Generationen und Kulturen, bietet günstigen Wohnraum und grüne Oasen nicht nur in der Fläche, sondern auch an Hauswänden und auf Dächern, verfügt über ein Fahrradwege-Netz und auch nachts noch über zuverlässigen Nahverkehr. Second-Hand- und Unverpackt-Läden findet man in der Nachbarschaft. Sportstätten, Konzerte, Theater, Museen und Raum für verschiedenste Szenen und Gruppen sind gut erreichbar. Attraktiv und atmosphärisch sind diese Stadtviertel dabei auch noch.
Diese Wunschliste hatten Oberstufenschülerinnen und -schüler auf Einladung des Initiativkreises Ruhr zusammengestellt und präsentierten sie am Mittwoch, 9. Oktober, bei einem Diskussionsabend zum Thema „Entwicklung von Wohnquartieren“ in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim. Der Abend war Teil der gemeinsamen Diskussionsreihe zur „Zukunft an der Ruhr“ mit dem Initiativkreis Ruhr.
Die Wunschliste zur perfekten Schwarmstadt stieß bei der Aachener Stadtentwicklerin Prof. Christa Reicher auf offene Ohren: Mit einer ganz anderen Geschwindigkeit als bisher müsse man die „Jahrhundertchance Quartiersentwicklung“ anpacken, bescheinigte sie den jungen Leuten: „Nahversorgung, Miteinander und Verkehr: Die Mischung beim Wohnen macht‘s.“
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ergänzte die Wunschliste der Schülerschaft noch um Kirchen, Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und die sozialen Einrichtungen der Caritas. Bislang habe sich die Stadt jeweils rund um ihre Kirchen weiterentwickelt, heute müsse die Kirche sich unter anderen Bedingungen am Zusammenhalt der Städteregion beteiligen.
Beispiel InnovationCity Ruhr
Trotz der Unsicherheit bei der Aufstellung eines Regionalplans für das gesamte Ruhrgebiet gibt es in der Region bereits gute einzelne Modellprojekte für neues Leben und Arbeiten. Einerseits biete das Ruhrgebiet – entgegen dem Immobilienboom anderer Großstädte –dafür kostengünstige Möglichkeiten, andererseits allerdings auch „Quartiere der Segregation“, also sozial isolierte Wohngegenden, fasste Akademiedirektorin Judith Wolf, Moderatorin des Abends, die Situation vor Ort zusammen. Burkhard Drescher, Geschäftsführer der InnovationCity Management GmbH, machte am Beispiel der Bottroper Modellstadt InnovationCity Ruhr deutlich, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn die Bevölkerung sich an der Umsetzung beteiligt. Von den Erfahrungen der RAG Montan Immobilien mit der Flächenentwicklung beim Großprojekt „Freiheit Emscher“ zwischen Bottrop und Essen berichtete Markus Masuth als Vorsitzender der Geschäftsführung: Eine „Riesen-Herausforderung“ sei es, Vorzeige-Modelle so umzusetzen, dass sie auch noch schwarze Zahlen einbrächten. Ähnliches gilt für das Stadtquartier „Essen 51“ im Kruppgürtel, das von einem privaten Investor umgesetzt wird.
Zugleich müssen vernachlässigte Wohnungsbestände der 50er, 60er und 70er Jahre auf den neuesten Stand gebracht werden – eine Aufgabe, der sich auch die Vivawest Wohnen GmbH verschrieben hat. Rund zwei Drittel aller Wohnungen im Ruhrgebiet seien davon betroffen, berichtete Geschäftsführer Ralf Brauksiepe. Ehemals akzeptable Anlagen seien mangels Pflege inzwischen zu Angst-Räumen verkommen; bei der Renovierung müsse man heute nicht nur die Energetik und ansprechende öffentliche Flächen berücksichtigen, sondern auch barrierearme Zugänge schaffen. „Eine Riesen-Herausforderung“, so Brauksiepe.
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen erinnerte daran, dass eine Stadt wie Essen, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Druck von Wohnungsnot und Wohlstandswünschen mit dem Ziel einer „Auto-Stadt“ wieder aufgebaut wurde, nur „in Jahren und Jahrzehnten“ verändert werden könne, und auch dies nur unter Beteiligung ihrer Bürger. „Die Nagelprobe für das Ruhrgebiet als menschengerechte Metropole mit Zukunftsperspektiven ist der zuverlässige, saubere, aber nicht um jeden Preis billige öffentliche Nahverkehr“, sagte Kufen, „mit 27 einzelnen Verkehrsbetrieben werden wir hier nicht weiterkommen.“ Seine Idee: Sollte sich die Region an Rhein und Ruhr mit ihren bereits vorhandenen Sportstätten um die Olympischen Spiele 2032 bewerben, gebe es die Chance, den Nahverkehr entsprechend auszubauen.
„Eine Stadt ist nie fertig“, sagte Kufen. Sie zu entwickeln und mitzugestalten sei eine der anspruchsvollsten ehrenamtlichen Aufgaben: „Mischen Sie sich ein! Gehen Sie in die Kommunalpolitik. Vor allem die Frauen und die jungen Menschen brauchen wir.“