TalentAward Ruhr 2017: Sonderpreis geht an Initiative JOBLINGE
12. Oktober 2017




Raphael Karrasch hatte in jungen Jahren Glück. Sein Vater trieb ihn an, unterstützte ihn. Vor allem in der Zeit, als es nicht so gut lief. Als er auf dem Gymnasium zweimal das Klassenziel verfehlte, auf die Hauptschule wechselte und nicht so recht wusste, wie es weitergeht. „Mein Vater hat mir Orientierung gegeben“, sagt Karrasch. Heute ist er 47 Jahre alt, und in seiner Vita stehen eine Lehre als Kunststoff-Formgeber, Fachabitur sowie ein Sozialpädagogik-Studium. Er ist Regionalleiter der JOBLINGE gAG Ruhr, einer Initiative, die junge Menschen fördert, die so sind, wie er früher war: orientierungslos. „Ich hatte einen Vater, der mir den Weg gewiesen hat. Andere haben niemand, der sie bei ihrem beruflichen Fortkommen unterstützt“, sagt Karrasch.
Rund 40.000 Lehrstellen sind unbesetzt
Fehlende Orientierung – das ist nach Überzeugung von Arbeitsmarktexperten einer der wesentlichen Gründe, warum in Deutschland mehr als eine halbe Million junge Menschen den Sprung von der Schule in die Ausbildung nicht schaffen. Sie sind arbeitslos oder befinden sich in Maßnahmen des sogenannten Übergangssystems zwischen Schule und Beruf. „Dabei ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt so gut wie lange nicht, und etwa 40.000 Lehrstellen sind unbesetzt“, wundert sich Karrasch
JOBLINGE begleitet junge Menschen mit schwierigen Startbedingungen in Ausbildung und Arbeit. Die bundesweit tätige Initiative arbeitet an allen Standorten mit einheitlichen Prozessen und setzt dieses Konzept in Form eines Social-Franchise-Systems um. Die Finanzierung der JOBLINGE gAG Ruhr besteht zu nahezu gleichen Teilen aus Mitteln der öffentlichen Hand und Partnerunternehmen sowie Förderungen von Stiftungen. Karrasch hat JOBLINGE im Ruhrgebiet aufgebaut. In Essen ging es vor fünf Jahren los. Schon bald kamen Standorte in Gelsenkirchen und Recklinghausen hinzu. Weitere sollen folgen.
Das Besondere ist die wirksame Vernetzung von Unternehmen, Jobcentern/ Arbeitsagenturen und engagierten Ehrenamtlern mit den hauptamtlichen JOBLINGE-Teams vor Ort. „Das ist unsere Erfolgsformel“, betont der Regionalleiter. Über die Jobcenter gelangen die Jugendlichen zu Veranstaltungen von JOBLINGE. Dort erhalten sie Informationen zu den Programminhalten und können entscheiden, ob sie mitmachen möchten. Wer dabei sein will, muss sich zunächst bei einer ehrenamtlichen Aktion bewähren, zum Beispiel beim Renovieren einer Kindertagesstätte. „So prüfen wir, wer tatsächlich motiviert ist“, erläutert Karrasch.
Danach startet das eigentliche Programm: Die Teilnehmer erhalten einen ehrenamtlichen Mentor, der ihnen hilft, einen realistischen Plan für ihre berufliche Zukunft zu entwickeln: Indem er ihre Stärken und Schwächen analysiert, verschiedene Berufswege aufzeigt oder ihre Bewerbungsunterlagen auf Vordermann bringt. Das Wichtigste aber sei, sagt Karrasch, den jungen Menschen Wertschätzung entgegenzubringen. Ihnen das Gefühl zu geben, dass sich jemand ehrlich interessiert. Die Mentoren sorgen dafür, dass alle dabei bleiben, auch wenn es einmal Gegenwind gibt.
Auf dem Programm stehen Betriebsbesuche und Gespräche mit Ausbildern
Parallel stellt die Initiative den Programm-Teilnehmern Berufe vor, praxisnah durch Betriebsbesuche und Gespräche mit Ausbildern und Auszubildenden. So entdeckt mancher junge Erwachsene Alternativen, an die er zunächst nicht gedacht hat. Und mancher Betrieb erhält einen engagierten Auszubildenden, den er sonst nicht zum Gespräch eingeladen hätte. „Wichtig ist, dass Unternehmen nicht nur auf die Noten schauen, sondern sich ein Gesamtbild von einem Bewerber machen. Talent steht nicht auf dem Zeugnis“, betont der JOBLINGE-Leiter. Die Jugendlichen sind während des gesamten JOBLINGE-Programms praktisch tätig. Dabei werden sie stufenweise auf den betrieblichen Alltag vorbereitet – zunächst an den JOBLINGE-Standorten, dann über eng betreute Praktikumseinsätze in Partnerunternehmen. Hinter dem Bewerbungspraktikum am Ende des Programms steht der greifbare Ausbildungs- oder Arbeitsplatz bei dem Unternehmen. Die Teilnehmer können sich ihre Ausbildung aus eigener Kraft erarbeiten.
Der Erfolg gibt dem Konzept recht: Sieben von zehn Teilnehmern beginnen eine Ausbildung. Und etwa 93 Prozent der vermittelten Jugendlichen sind auch nach sechs Monaten noch dabei. Denn JOBLINGE begleitet die Teilnehmer auch nach Programm-Ende.
Ein aktuelles Foto der Preisträger finden Sie hier.