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TalentAward Ruhr 2018: Preisträgerin Dorothee Streier-Laufs
20. September 2018




Wie lebte es sich in den fünfziger und sechziger Jahren in Mülheim an der Ruhr, im Ruhrgebiet und überhaupt in Deutschland? In der Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftsaufschwungs? Schülerinnen und Schüler des Bildungsgangs „Gesundheit und Soziales“ am Berufskolleg Stadtmitte in Mülheim begeben sich im Stadtarchiv und anderswo regelmäßig auf Spurensuche. Nicht für eine Schularbeit, sondern für ein einzigartiges freiwilliges Projekt: die Arbeit mit Demenzkranken. Wer heute 80 und älter ist, für den fielen besonders intensive Phasen seines Lebens in die fünfziger und sechziger Jahre: Jugend, erste Liebe, Familiengründung – Ereignisse, die lange haften bleiben im Gedächtnis, auch wenn die Leistungsfähigkeit des Gehirns nachlässt. Die Idee der Elftklässler: über Bilder aus den frühen Jahren der alten Menschen miteinander ins Gespräch kommen. „Erinnere dich …“ haben sie ihr Spiel genannt, das 105 Bildkarten aus sechs unterschiedlichen Themenbereichen enthält.
Das Projekt ist dauerhaft an der Schule verankert
„Erinnere dich …“ ist Ergebnis der Kooperation des Berufskollegs mit der Pflegeeinrichtung „Haus Ruhrgarten“ in Mühlheim, der Kranken- und Altenpflege GmbH „Die Pflegepartner“ und der Alzheimer Gesellschaft Mülheim. Seit vier Jahren gibt es das Projekt am Berufskolleg. Damals hatte ein Schüler, motiviert von Erfahrungen in der eigenen Familie, vorgeschlagen, sich mit Demenzkranken zu beschäftigen. Lehrerin Dorothee Streier-Laufs griff die Idee auf, konkretisierte sie und nahm Kontakt zu der örtlichen Alzheimer Gesellschaft auf. „Schnell war klar, dass es nicht eine einmalige Aktion werden sollte, sondern ein nachhaltig angelegtes Projekt, das wir dauerhaft an unserer Schule verankern wollten. Denn nur dann ist es ein Gewinn sowohl für die Erkrankten als auch für Schülerinnen und Schüler“, erläutert die 58-Jährige. In jedem Schuljahr arbeiten Oberstufenschüler einen Nachmittag in der Woche in einer Pflegeeinrichtung mit Demenzkranken. Sie spielen gemeinsam Karten, singen, backen oder aktivieren das Gedächtnis der alten Menschen mit „Erinnere dich …“.
„Von Anfang an entwickelte sich ein liebevoller Bezug zu den Bewohnern der Einrichtung. Das hätte ich nie gedacht. Ich habe mich auf jeden Nachmittag gefreut und die Bewohner haben sich auf mich gefreut“, erzählt die Schülerin Aylin Bilen. Das Schulprojekt hatte sogar entscheidenden Einfluss auf ihre Berufswahl: Statt wie ursprünglich geplant, Gesundheits- und Krankenpflegerin zu werden, entschloss sich die junge Frau für eine Ausbildung zur Altenpflegerin – und ist sehr glücklich damit. „Es ist wunderbar zu sehen, mit wie viel Herzblut und mit welchem Engagement Aylin mit Hochbetagten umgeht“, freut sich ihre ehemalige Lehrerin Dorothee Streier-Laufs. In den vergangenen Jahren haben sich – angestoßen durch persönliche Erfahrungen mit dementiell erkrankten Menschen – etliche Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs für einen Beruf in der Altenpflege entschieden. Sehr zur Freude der Einrichtungen, die unter starkem Nachwuchsmangel leiden. Denn vielen jungen Leuten, die vor der Berufswahl stehen, kommen als erstes Schichtarbeitszeiten, geringe Bezahlung und schwere körperliche Arbeit in den Sinn, wenn sie an den Beruf des Altenpflegers denken. „Durch den direkten Kontakt mit den Betroffenen erhalten die Schülerinnen und Schüler ein komplett anderes Bild von der Arbeit in der Altenpflege. Auch wenn sie sich für einen anderen Beruf entscheiden, so wollen sich doch viele nach der Projekterfahrung weiterhin sozial engagieren“, betont Dorothee Streier-Laufs. Sie freut sich, dass die Arbeit für das Projekt „Engagiert für Demenzkranke“ den Zusammenhalt in der Klasse stärkt und bei vielen den Blick auf die Gesellschaft verändert. „Schließlich kann in jeder unserer Familien am nächsten Tag ein Fall von Demenz oder eine andere schwere Krankheit auftreten. Dann wären wir auch um jede Hilfe dankbar.“
Zertifikat am Ende des Schuljahres
Am Ende des Schuljahres erhalten die Jugendlichen ein Zertifikat über Dauer, Umfang und Art des Einsatzes. „Diese Bescheinigung ist bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz wertvoller als eine gute Note in Mathematik. Denn sie zeigt, dass sich jemand für die Gesellschaft engagiert und nachhaltig praktische Erfahrungen gesammelt hat“, sagt die Projektleiterin. Das Schönste für sie ist, wenn Schulabgänger zum Abschied sagen: „Frau Streier-Laufs, das Beste an der Schulzeit war das Demenzprojekt.“
Fotos von der Preisverleihung zum Download in druckfähiger Auflösung finden Sie hier.