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TalentAward Ruhr 2018: Preisträgerin Julia Gajewski
20. September 2018




Da ist zum Beispiel Jacky aus der Jahrgangsstufe 10. Als Förderkind ist sie vor Jahren an die Städtische Gesamtschule Bockmühle im Essener Norden gekommen. „Ich hatte keine Aussichten auf einen normalen Schulabschluss, andere Schulen hätten mich aufgegeben oder hätten mich erst gar nicht aufgenommen“, erzählt die 16-Jährige. Doch die Lehrer hier hätten sie nicht abgeschrieben, hätten stets an ihre Talente geglaubt und sie unterstützt. „Seit der neunten Klasse bin ich eine Regelschülerin, die dieselben Perspektiven hat wie alle anderen auch.“
„Beim Lernen sind die Kinder häufig sich selbst überlassen“Es sind Geschichten wie diese, die Schulleiterin Julia Gajewski, 54, und ihrem Kollegium immer wieder Mut machen. Die helfen, nicht zu verzweifeln an den widrigen Umständen, unter denen sie arbeiten. Der überwiegende Teil der etwa 1.500 Schülerinnen und Schüler „der Bockmühle“ kommt aus sozial schwachen Familien mit niedrigen oder gänzlich fehlenden Bildungsabschlüssen. Zwei Drittel von ihnen haben einen Migrationshintergrund und 70 Prozent eine Hauptschulempfehlung. Schule nimmt hier im Stadtteil Altendorf in vielen Haushalten nur eine untergeordnete Rolle ein. „Beim Lernen sind die Kinder häufig sich selbst überlassen“, sagt Julia Gajewski. Denn viele Eltern seien aufgrund der eigenen Biographie nicht in der Lage, ihre Kinder zu fördern oder an der Bildungskarriere ihres Nachwuchses nicht interessiert. „Wenn wir zu einem Elterngespräch einladen, müssen wir oft fünf, sechs Mal telefonieren, ehe Vater oder Mutter erscheinen.“
Eltern in die Entscheidungen einzubeziehen ist Julia Gajewski und ihren Kolleginnen und Kollegen wichtig. Sie wollen Interesse und Akzeptanz für den Werdegang des Nachwuchses steigern, denn so können sich die Schüler besser darauf konzentrieren, eigene Fähigkeiten zu entdecken und ihren Weg zu finden. An vielen anderen Schulen im Land würde es das 150 Mann- und Frau-starke Kollegium leichter haben. Aber das wollen sie nicht. „Die meisten von uns sind Überzeugungstäter, die sich bewusst für diesen Standort entschieden haben. Das schweißt zusammen“, betont die Schulleiterin.
Eine durchgehende Talentförderung – wie geht das unter solch herausfordernden Bedingungen? Das Konzept der Gesamtschule Bockmühle heißt „Leben und Arbeiten an der Teamschule“. Die Förderung soll jedem einzelnen dazu verhelfen, sich über eigene Fähigkeiten bewusst zu werden und diese auch zu nutzen. Es gibt zahlreiche alters- und stufenspezifische Angebote mit einer Vielzahl von Kooperationspartnern. Zum Beispiel BOB, die Berufsorientierungsbüros für die Sekundarstufe I und II. Sie sind Anlaufstelle für Schülerinnen und Schüler – etwa bei der Ausbildungsplatzsuche und Studienwahl. Zum Beispiel arbeiten Berufseinstiegsbegleiter ab der 8. Klasse bis zum Beginn der neunten täglich mit den Schülern und feilen an ihren Berufsperspektiven.
Aber die Beratung geht eben weit über die reine Orientierung hinaus. Denn die Schüler bekommen hier auch Hilfe bei Problemen, die nichts mit Schule oder Beruf zu tun haben. „Wir folgen einem ganzheitlichen Ansatz und versuchen, Stadtteil- und Quartiersarbeit miteinzubeziehen“, erläutert Schulleiterin Gajewski. Dazu gehört zum Beispiel, den jungen Menschen zu vermitteln, dass Vielfalt eine Bereicherung für das gemeinsame Leben und Lernen sein kann. Das gelingt durch interkulturelle Begegnungen und Feste. Verantwortung übernehmen, im Team arbeiten – auch solche Fähigkeiten versucht die Schule Jugendlichen mit auf den Weg zu geben. Und selbständig voran zu gehen; dazu wird an von den Schülern formulierten Lernzielen gearbeitet. Täglich gibt es dazu Feedback, und in einer Wochenabschlussstunde wird über Erreichtes reflektiert. Das alles gelingt trotz knapper Personalressourcen und obwohl – natürlich – nicht immer alle mitziehen.
Stipendienberatung und Auslandsaufenthalte
Wer im familiären Umfeld nur wenig Wertschätzung für seine schulischen Leistungen erfährt, zweifelt schnell an seinen Talenten und traut sich wenig zu. Also investieren die Lehrerinnen und Lehrer der Gesamtschule Bockmühle viel Zeit und Herzblut, Kindern und Jugendlichen deutlich zu machen, welche Fähigkeiten sie besitzen und Selbstvertrauen aufzubauen. Sie bekommen hier eine Stipendienberatung. Außerdem werden ihnen Auslandsaufenthalte ermöglicht. Die Förderung ist auf die Schüler individuell angepasst, holt sie da ab, wo sie stehen. Jede Jahrgangsstufe hat ihr eigenes Team, das sie begleitet.
„Für viele ist es schlimm, wenn ihre Schulzeit vorüber ist. Dann fehlen ihnen Ansprechpartner und Bezugspersonen. Dann fehlt das Netz, das sie hält“, sagt Julia Gajewski. Die große Beteiligung an Veranstaltungen für Ehemalige zeigt, welch enges Band die Pädagogen immer wieder zwischen Schule und jungen Leuten knüpfen. Bis zu 2.000 Ehemalige tummeln sich bei diesen Anlässen auf dem Schulgelände. Viele haben eine Karriere gemacht, die man ihnen nicht zugetraut hätte, als sie zur Gesamtschule Bockmühle kamen. Zum Beispiel Johannes, 28, Lehramt-Student: „Ich konnte jederzeit mit noch so kleinen Problemen zu den Lehrern gehen und stieß immer auf Verständnis. Das hat mich angespornt: Ich will dieses Vertrauen und Verständnis an meine künftigen Schüler weitergeben.“ Bei solchen Kommentaren geht Julia Gajewski das Herz auf.
Fotos von der Preisverleihung zum Download in druckfähiger Auflösung finden Sie hier.